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Große Ambitionen und praktische Probleme auf dem Roskilde Festival (Teil 3)

Pfandsammeln auf Festivals


Im dritten und letzten Teil des Artikels beleuchten wir das Verhältnis zwischen Sammelnden und den feiernden Gästen des Roskilde Festivals. Wir besuchen das „Cafe Pant“, ein Treffpunkt für Sammelnde und wir fassen unsere Erfahrungen zusammen.

interview Jonas Rogge
redaktion Tina Huynh-Le
fotos Sascha Krautz, Dominik Wagner, Lino Adriano, Alexander Schneider

» Das Essen hier ist aber sehr teuer, ich ernähre mich von dem, was ich so auf dem Zeltplatz finde. «

„Responsible Refund“ ist auch gegründet worden, weil BesucherInnen sich über das distanzlose Verhalten mancher SammlerInnen beschwert haben. Auf mich wirkt ihr Verhalten trotzdem eher unscheinbar. Wie der Versuch, unsichtbar zu sein, während man inmitten von tanzenden Menschen plattgetretene Dosen vom Boden klaubt. Eine schattenartige Erscheinung, die noch verstärkt wird, wenn jemand in die Mitte eines von Zelten umringten Pavillons tritt und sprachlos anfängt, umherliegende Dosen aufzusammeln. Zum einen kann man das als befremdlich oder eben distanzlos empfinden. Bei mir entsteht aber auch der Eindruck von Dienstpersonal auf einer großen Feierlichkeit, das nur redet, wenn es vom höhergestellten Festivalgast angesprochen wird. Wir haben oft das Gefühl, jemanden aus seinem oder ihrem Trott aufzuwecken. Die Reaktionen sind aber fast immer freundlich und die Probleme mit den CashCards erweisen sich als guter Gesprächseinstieg.

Ali zum Beispiel ist enttäuscht wegen der Komplikationen mit der Bezahlung. Er hat Freunde zum Roskilde mitgebracht und die sind es auch. „Wir reden viel, aber es verändert sich nichts. Ich bete für Veränderung“. Dabei wirkt er niedergeschlagen, aber nicht fordernd oder aggressiv. Entweder, weil er schon dankbar ist, hier konfliktarm arbeiten zu können oder weil er mangelnden Respekt und widrige Umstände gewohnt ist. Ich weiß es nicht.

Andere akzeptieren die Probleme mit den Karten nicht so einfach. Benjamin ist aus Madrid gekommen und regt sich auf, als wir ihn nach dem Sammeln und den CashCards fragen. Er meint, dass man ihre Probleme nicht ernst nehme und dass es an den Refund Stalls an Führungspersonen fehle. Es müsse doch eine*n Verantwortlichen geben. Eine nachvollziehbare Forderung, wenn man mehrere Hundert Euro in Anreise und Festivalticket investiert hat und diese Ausgaben kompensieren muss. Es ist sein erstes Mal beim Roskilde. Er will nicht wiederkommen. Benjamin wohnt nur ein paar Blocks weiter von unserem Camp. Als wir ihn auf die Nachbarschaft ansprechen, erhellt sich seine Miene. „Die Leute sind super nett. Das Essen hier ist aber sehr teuer, ich ernähre mich von dem, was ich so auf dem Zeltplatz finde. Meine Nachbarn geben mir auch mal Getränke“.

Freitagmorgen. Ich höre den jungen Dänen wieder aus seinem Camp rufen: „Jamaika, Jamaika!“ Der Angesprochene dreht sich um, lacht und läuft zum Camp. Die beiden begrüßen sich mit Umarmung und unterhalten sich kurz. Der Sammler bekommt noch ein paar Dosen aus dem Camp und zieht weiter. Die etwas platte, klischeehafte Kontaktaufnahme vom letzten Sonntag hat dem freundschaftlichen Verhältnis offensichtlich nicht im Wege gestanden. Für gute Beziehungen zwischen SammlerInnen und anderen BesucherInnen braucht es manchmal nur guten Willen, von beiden Seiten.

Freitagnachmittag: Seun Kuti & Egypt 80 spielen auf der Orange Stage. Der Dauerregen hat keine Chance gegen die unglaubliche Jam Session auf der Bühne. Lange habe ich mich gefragt, ob Vollzeit-Sammelnde auch mal von der Musik überrascht werden, bei einem Konzert stehen bleiben und den Moment genießen. Bei dem Konzert, bei dem der Sohn des berühmten Afrobeat-Pioneers Fela Kuti mit der Band seines Vaters auftritt, sehe ich endlich, was ich sehen wollte. Menschen, die ihren Sack für ein paar Songs stehen lassen und tanzen oder eben tanzend durch die Reihen ziehen und nebenbei ein paar Becher mitnehmen. Viele der Sammelnden, mit denen wir gesprochen haben, kommen ursprünglich aus Nigeria. Fela Kuti war dort seit den 70er Jahren ein Superstar. Die meisten leben aber schon lange in Europa. So wie Eddi, den wir am nächsten Tag vor dem großen Refund Stall auf der Eastside treffen.

Eddi macht gerade eine Pause und trinkt eine Dose Bier. Eddi war begeistert von dem Seun Kuti Konzert. „Ich kenne seinen Vater noch aus Nigeria. Seun ist immer noch wie ein kleiner Junge für mich. Das war eine schöne Erinnerung, weil ich schon viele Jahre nicht mehr in Nigeria war“. Eddi kommt aus Madrid und fand die Woche sehr anstrengend. „Ich habe bis zu 20 Stunden am Tag gesammelt. Es lohnt sich aber trotzdem nicht, weil ich so viel Geld in Anreise und Ticket investiert habe“. Er habe aber trotzdem eine gute Zeit gehabt: „Ich hatte viel Spaß mit den jungen Leuten aus Dänemark und Deutschland und vielen anderen Ländern, die um mich herum gezeltet haben. Alles nette, warmherzige Leute“. Streitigkeiten unter den SammlerInnen gäbe es auch selten, erzählt Eddi. Höchstens, wenn es darum geht, wer zuerst in der Schlange beim Refund Stall gestanden hat. Dort war Eddi auch in der ersten Nacht des Festivals. „Ich stand hier zitternd mit verschränkten Armen. Dann kam ein dänischer Mann und hat mir seine Jacke hingehalten. Ich sagte ihm, dass ich doch schon eine Jacke habe. Darauf erwiderte er: ‚Deine Jacke ist nicht für Dänemark gemacht‘. Also habe ich jetzt eine warme Jacke“. Eddi ist trotzdem sichtbar erschöpft. Er möchte nicht, dass wir ein Foto von ihm machen. Er wolle nicht, dass seine Familie in Madrid ihn hier so sieht. Ob die Familie überhaupt weiß, was er in Dänemark macht, traue ich mich nicht mehr zu fragen.

Am Samstagnachmittag wirkt der Zeltplatz fast verlassen. Die BesucherInnen sind jetzt vorwiegend auf dem Festivalgelände und in den Camps sieht man SammlerInnen, die den Eindruck machen, als wären sie lange nicht zur Ruhe gekommen. Viele erholen sich wohl vor der letzten Nacht auf dem Festivalgelände, andere ziehen sichtbar ermüdet letzte Runden durch den Schlamm, der sich auf den Hauptwegen gebildet hat.

Wir wollen vor Ende des Festivals noch das „Cafe Pant“ finden. Es soll irgendwo am Rande des Campinggeländes auf der Eastside liegen. Ein Treffpunkt für Sammelnde mit gratis Essen und sanitären Anlagen. Nach einigem Herumfragen und -irren haben wir es gefunden: Ein kleines, von Bauzäunen umringtes Gelände, ein Bauwagen, eine Essensausgabe, ein Zelt mit Stühlen und Tischen und noch ein Wagen mit Toilette und Dusche, draußen ein Schild: „Cafe Pant“.
Wir treten zögerlich ein, es macht schon den Eindruck, als wäre das hier eine Art Ruheoase für die SammlerInnen. So weit abgelegen vom Konzertgelände, dass es fast still ist. Eine Frau spricht uns an und nach kurzer Rücksprache ist sie bereit, ein paar Fragen zu beantworten.

Höme: Hallo, wir befinden uns im Cafe Pant. Ist das das erste Festival für das Café?
Katrin: Das Café gab es schon letztes Jahr, ich bin aber zum ersten Mal hier. Wir sind alle Freiwillige von der „Runden Tafel“, eine Organisation, die die Verschwendung von Essen bekämpft. Ein Teil der Arbeit ist die Ausgabe von gesammeltem Lebensmitteln an Bedürftige. Von 10 Uhr morgens bis 20 Uhr abends sind wir für die Sammelnden hier, denn sie sind die UmweltaktivistInnen des Festivals. Außerdem bieten wir hier Tee, Kaffee und eine warme Dusche an.

Wie ist denn das Feedback bislang?
K: Großartig! Die Leute sind sehr dankbar und freundlich. Für mich ist es ein Privileg, hier zu arbeiten. Ich habe so viele gute Menschen getroffen, ich würde das sofort wieder machen.
Die ersten paar Tage war es ein bisschen chaotisch, es war neu für die SammlerInnen und für die MitarbeiterInnen. Mit der Zeit haben die BesucherInnen aber ihre eigenen Strukturen geschaffen, sie wissen sich hier zu organisieren. Wir haben gestern gescherzt, dass das Cafe Pant die saubersten Toiletten auf dem ganzen Festivalgelände hat. Die SammlerInnen machen nämlich selber sauber. Guckt’s euch an, das ist so cool.

Und wie bist du dazu gekommen, hier mitzumachen?
K: Ich arbeite in einer Obdachlosenunterkunft in Kopenhagen. Einer meiner Kollegen hat mich und andere KollegInnen eingeladen. Es ist schön hier, die Leute können sich ausruhen, es ist nicht so laut, eine gemütliche Ecke. Und das Beste ist, dass wir das zusammen mit den BesucherInnen geschaffen haben.


» Wenn sich so viele die Mühe machen, Geld zu sparen und für eine Woche zum Roskilde zu fahren, muss es doch auch Erfolgsgeschichten geben. «

Bei der entspannten Atmosphäre im Café Pant beschließen wir, unsere Recherche für dieses Jahr zu beenden. Zusammen mit allen BesucherInnen wollen wir noch unseren letzten Abend auf dem Festival genießen. Vom Café Pant zurück zu unserem Camp sind es immerhin 30 Minuten zu Fuß.

Ganz so kontaktfreudig, wie Anna gesagt hat, waren die Sammelnden dann doch nicht. Das kann aber auch an dem Aufnahmegerät und dem Signalwort „Interview“ gelegen haben. Einem förmlichen Portrait wollte niemand der Sammelnden zustimmen. Wir haben gemerkt, dass die Gespräche deutlich offener sind, wenn Aufnahmegerät und Kamera erstmal in der Tasche bleiben.

Die Rolle des*der Pfandsammelnden ist keine, die uns von den Aktiven stolz präsentiert wurde. Das steht im Gegensatz zu vielen Festivaltätigkeiten, die wir hier sonst porträtieren. Dabei leistet die Arbeit einen wichtigen Beitrag zur ökologischen Nachhaltigkeit des ganzen Festivals. Ob das wohl anders wäre, wenn die SammlerInnen eine Institution im offiziellen Team des Festivals darstellen würden?

Wenn sich so viele die Mühe machen, Geld zu sparen und für eine Woche zum Roskilde zu fahren, muss es doch auch Erfolgsgeschichten geben. Wir haben jedoch überhaupt keine Leute getroffen, die erzählen, dass sie ein gutes Geschäft mit dem Pfandsammeln machen. Könnte das am schlechten Wetter liegen? Oder sind es zu viele SammlerInnen geworden?

Manche der Fragen, die wir uns gestellt haben, bleiben offen. Viele neue sind dazugekommen. Was aber feststeht, ist, dass man einiges noch besser machen kann. Ob es die Kommunikation zwischen den Volunteer-Teams und der Orga ist oder ein besserer Kundenservice bei den Bezahlkarten.

Auch in Sachen Recherche gibt es Luft nach oben. Wir haben jedoch einen ersten Schritt gemacht und bereits viel dazu gelernt.