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What we call Festivalkultur

Erinnerungen vom Immergut 2016


 
 

text Johannes Jacobi
redaktion Johannes Jacobi
fotos Dominik Wagner & Sascha Krautz

Vergangenes Wochenende stieg mit dem Immergut Festival in Neustrelitz unsere offizielle Höme-Festivalsommer Eröffnungssause. Es hätte allerdings auch ebenso gut das krönende Finale der Saison sein können. Denn wie so etwas garnichtmal so Großes, so groß sein kann, dass ist schon ziemlich groß!

 

Hier also unser erster Artikel vom Immergut. Der Versuch, ein Gefühl in Bilder und Worte zu fassen, und gleichzeitig die Einleitung in unsere Immergut-Serie.

Die Anreise

Eine Fahrt ins Grüne

Der Immergut Facebook-Post mit dem Hinweis einer Umleitung nach Neustrelitz wurde klassisch ignoriert, der Empfang auf dem Land ist eher dürftig und Google Maps spielt verrückt. Aber siehe da: eine Abkürzung. Rauf auf den süßen Waldweg und fest dran glauben, dass die Richtung stimmt. Das Schild „Sperrgebiet“ haben zwar alle wahrgenommen, aber darüber geredet wird vorerst nicht. Kurz mitten auf dem Weg anhalten zum Pinkeln und…. Stille! So still, dass aus der Erleichterungspause nun erstmal eine etwas längere Fahrtunterbrechung wird, einfach nur um sich kurz zu freuen wie schön so ein Wald und die dazugehörige Ruhe sein kann. Dieses Festival scheint ja wirklich sehr idyllisch gelegen… Weiter geht’s, zumindest ein paar Minuten, bis wir endlich an der Kaserne ankommen und das Sperrgebietsschild seinen Sinn ergibt. Hier ist Schluss. Wieder den ganzen Weg zurück und weiter geht’s durch schönste Wälder, vorbei an schönsten Seen. Und schwupps; nur eine Stunde später als geplant haben wir es geschafft und biegen auf den immerguten Parkplatz. Wenn sich die Anreise schon wie Urlaub anfühlt…


Das Gelände

Ein Fahrradverleih fürs Anderswo

Gar nicht so riesig wie man das erwartet, wenn man an Festivals denkt. Und gar nicht mal so unschön mit den ganzen Bäumen drum herum. Zwei Campingplätze, drei Bühnen und ein Künstler-, Produktions-, Helfer- und Pressebereich im moosbewachsenen Nadelwald hinter der Hauptbühne. Keine weiten Wege, ein eigener Bahnhof für die Bimmelbahn, kein Platz sich zu verlieren und einen Fahrrad Verleih zum erkunden der Seenplatte.
Die kleinste Bühne – Birkenhain – lädt zum auf der Wiese liegen und Lesungen lauschen ein. Die Zeltbühne ist hervorragend mit Licht und Ton ausgestattet, und schon beim ersten Begutachten wird klar, dass das hier der „Es-geht-rund-Bereich“ ist.
Die Waldbühne ist die Größte auf dem Immergut und ähnelt der normalen Festival-Bühne wohl am meisten. Die Fläche davor ist allerdings so gut bemessen, dass zu keinem Zeitpunkt Gedränge und Gedrücke herrschen wird. Der perfekte Ort, um in Ruhe Konzerte zu genießen, zu knutschen oder gar etwas ausschweifender zu tanzen. Speis und Trank gibt es auch. Nicht zu viel, nicht zu wenig und nicht zu teuer. Festival! Jetzt! Anfangen! Bitte – Danke!

Die Konzerte

Von Bandüberschneidungen und Starallüren(Achtung Schmalz-Alarm)

Kommen wir zum emotionalen Teil. Der Teil der hier so gut funktioniert wie kaum anderswo. Denn auf dem Immergut gibt es keine Konzert-Überschneidungen. Fünf Minuten nach dem Konzert auf der Waldbühne geht es circa sechs Meter nach links zur Zeltbühne zum nächsten Konzert, und von da dann nach Konzertende unfassbar weite 20 Meter zum Birkenhain. Wenn die nächste Band nicht gefällt? Dann setzt oder legst du dich genau dahin wo du gerade stehst und döst ein bisschen im Schatten. Keine Dauerbeschallung aus drei Richtungen, kein Ankämpfen von Bands gegen den Headliner, und viel Raum und Zeit zum Machen, Hören, Nichtstun, oder eben was auch immer du magst. Und was dem Immergut-Besucher gefällt, gefällt auch dem Musiker. Die Atmosphäre bei sämtlichen Konzerten ist spannend, intim und groß, auf kleine Weise. Wenn zum Beispiel Liima zu später Stunde die Waldbühne scheppern lassen und mit Dauergrinsen spielen, dann nimmt man den Jungs das ab – denn erstens waren sie schon mal mit der halben Besetzung als Efterklang da und sind somit quasi immergute Freunde, zweitens haben sie den Nachmittag in einem Künstlerbackstage verbracht, der seinesgleichen sucht (dazu ein andermal mehr), und drittens sind sie so nah am Publikum, dass der Funke nicht mal springen muss um überzuspringen. Sogar Stagediving in der Hüpfburg und öde Luftballons wirken auf einmal passend und gar nicht so Tomorrowland-mäßig, wie das schnell mal vorkommen kann.


Auch die anderen Konzerte sind nicht übel. Vita Bergen, Fat White Family oder Suuns im Zelt zum Beispiel. Alleine das Zuschauen aus sicherer Entfernung von außerhalb des Zeltes sorgt für Wärme und lächelnde Gesichter. Der Anblick einer bis zur letzten Reihe auf Holzdielen hüpfenden Menge ist schon faszinierend, und in Kombination damit, dass man eigentlich auf einem ruhigen, dunklen, von hohen, schön beleuchteten Bäumen umgebenem Platz steht und dass einzige an Bewegung dieses flackernde, dröhnende Zelt ist… In diesen Momenten wird klar, dass die Immergut Bookingabteilung weiß wer passt, wann genau und auf welcher Bühne. Bleibt die Hoffnung dass das Immergut-Team Zeit und Raum hat, solche Momente ähnlich wie wir Besucher zu erleben und zu genießen.

»Wir haben über 100 Fässer a 50 Liter Bier da und fahren hoffentlich komplett leer zurück.«

Norman, 38
Getränke & Logistik
Immergut seit Tag eins

»Ich habe heute schon die Essenswägen mit Wasser versorgt, die Küche angeschlossen und die Dixi Toiletten gestellt. Am Wochenende gibt’s für mich hoffentlich nichts weiter zu tun. Außer wenn Havarie ist, dann muss ich einspringen. Ansonsten nur gelegentlich die Pforte für den Abpumpwagen öffnen.«

Kathi, 31
Infrastruktur, zuständig für Gas-Wasser-Scheiße

»Dieses Jahr ist bisher alles ruhig. Aber vor zwei Jahren haben ein paar Leute drüben im Gleisbett ihre Feuerstelle eröffnet und da ist liegt noch viel Kohlenruß, auch weil gleich ein Kohlehandel im die Ecke ist. Der Kohlenruß glimmte dann so vor sich hin und als wir am Morgen ankamen hatten wir erst mal ein bisschen zu tun.«

Ronni, 34
Schichtleiter Feuerwehr
Viertes Immergut

»Ich bin quasi das Bindeglied der Head-Orga und der Leitung der Securityfirma. Ich stelle sicher, dass unser Publikum verstanden wird, koordiniere Positionsbesetzungen, und kümmere mich darum, dass im Falle von Notständen umgeplant wird. Massenpanik ist bei uns eher kein Thema, da wir sehr viele Wege haben. Das Schlimmste für uns wäre also eigentlich nur richtig doller Regen, da hätten wir alle nix von.«

Thomas, 28 aus Berlin
Leiter der Security von Seiten des Immergut

»Wir sind mit einer recht neuen Show hier und ich benutze das Set-Up von jemand anderem. Ich muss also mehr denn je auf dem Schirm haben was passiert und in welchem Song. Dem ersten Eindruck nach zu urteilen ist das Immergut sehr gemütlich und entspannt. Normalerweise haben wir nicht viel Zeit für den Soundcheck, aber hier läuft das. Ein schöner Ort sich zu entspannen auf jeden Fall.«

Sander, 29 aus Belgien
Front of House Engineer für Peter Bjorn and John

»Ich kontrolliere ob alle das passende Bändchen und die Autos einen Durchfahrtsschein haben, und ich pass auf dass keiner sich auf die wichtigen Parkplätze, wie zum Beispiel den vom Band-Nightliner stellt. Ab und zu gibt’s mal Funkdurchsagen wenn ein Auto unangemeldet oder ohne Pass ankommt und ich es durchlassen soll. Ansonsten ist es ruhig und meine größte Sorge ist dass mein Schirmchen nicht steht wenn es windet und regnet.«

Mario, 24
VIP Einlass
Zweites Immergut

»Heute habe ich schon einmal Vertrauen geschenkt. Ein Mädchen wollte auf die Toilette und hatte kein Geld dabei. Sie meinte sie kommt auf jeden Fall wieder und hat dabei mit den Augen gezwinkert. Ich habe ihr nicht geglaubt. Aber dann kam sie fünf Minuten später mit drei Bier, zwei Freunden und Mückenspray wieder.«

Nick, 24
Volunteer, Servicemitarbeiter Eco-Toiletten
Neuntes Immergut

Die Nächte

Im Zelt, vorm Zelt, hinterm Zelt

Ja, auch ohne Sleepless-Floor wird nach den Konzerten noch getanzt. Im Zelt gibt es das Beste aus der Indiewelt von früher bis vorher. Stellenweise vielleicht etwas zu zeitlos, aber wer es leid ist, seit Jahren zu denselben Hits zu tanzen, kann ja zu Erobique, Cosmic DJ oder Coma und DJ Phone zum Birkenhain gehen. Da geht es etwas elektronischer zur Sache und man kann unter stagedivenden Damen in den Morgennebel tanzen. Morgennebel auch über dem Campingplatz zu dieser frühen Stunde. Ein etwas endzeitmäßiger Anblick mit all den Zelten und kleineren Zeltplatz-Parties. Genau der richtige Moment für einen kurzen Spaziergang ins Bett.

Die Menschen

Der geheime Headliner

Beim Spaziergang zum Zelt, so mitten in der Nacht, wird sich noch mal kurz zu einer netten Gruppe vor die Eco-Toiletten gesetzt. Man kennt sich, ohne sich zu kennen und vielleicht geht man später ja doch nochmal zusammen tanzen. Ähnlich wie auch schon tagsüber bei den Konzerten. Man lächelt, man genießt schweigend und unbekannterweise zusammen, oder man kommt auf der Wiese ins Gespräch. Unbeschwert, ohne Ego-Geplänkel und mit herzlichem Selbstverständnis. Wie auch ein paar Meter weiter im Backstage-Zelt. Da tummeln sich die Veranstalter, die Helfer, die Vertrauten und ein paar der Bands und auch da geht es gar nicht so Backstagemäßig zu. Das hier könnte auch gerade eine WG-Party alter Freunde sein.
Das Immergut wird nicht in kleinen, separaten Grüppchen gefeiert, sondern zusammen mit allen die eben gerade Lust und Kraft haben. So zumindest unser Eindruck und daher auch unser gutes Gefühl am nächsten Morgen. Das Gefühl, ein besonderes Wochenende erlebt zu haben, Teil einer tollen Gruppe von Freunden gewesen zu sein. Ein Gefühl, das den Anfang unserer Festivalsaison so ein bisschen wie einen, oder gar den, Höhepunkt erscheinen lässt. Danke dafür liebes Immergut. Es war uns ein Fest, und vielleicht sind wir auch ein bisschen verliebt!