Magazin

What if the Hippies were right?

Erinnerungen vom New Healing 2018


 
 

text Luca Baude
redaktion Tina Huynh-Le
fotos Paula G. Vidal

Beim New Healing Festival spielen Spiritualität und Freiheit eine genau so große Rolle, wie Nachhaltigkeit und Zusammenhalt. Neben Musik, Workshops und Diskussionsrunden gibt es etwa auch einen Floor ohne Programm, auf dem jeder der mag etwas vortragen kann. Genau das richtige für alle, die gerne mal wieder ein bisschen mehr mit sich selbst und ihrer Umwelt im reinen sein möchten.

 

Sitzt eine ältere Dame am Frühstückstisch vom Dorfplatz, beziehungsweise vom „Tipi Town“ des New Healing Festivals und sagt ihren Freunden mit leicht verschlafener, rauchiger Stimme: „Ich habe den geilsten Sticker des Jahres gesehen: What if the hippies were right?“

Mutter Erde vergib uns.

Meine Freundin Paula und ich waren 2018 zum ersten Mal bei dem New Healing Festival. Sie als Fotografin, ich als Verfasser dieses Artikels. Am Eingangstor aus Holzschmetterlingen vorbei, fragten wir nach dem Festivalprogramm: „Wir drucken kein Programm aus, das findet ihr auf den selbstbemalten Holztafeln. Wir sind ein eher… dynamisches Festival (um nicht zu sagen chaotisch).“ Daraufhin die Kollegin lachend: „Hippies halt!“

Wir fanden ein sehr schönes Plätzchen unter Bäumen, mit einem Boden fast so weich wie eine Matratze. Plötzlich bemerkten wir eine Gruppe, die im Kreis tanzte und „Mutter Erde vergib mir“ sangen: Mutter Erde vergib uns, wir konnten uns das Lächeln nicht verkneifen... Wir sind also in einer besonderen Welt angekommen, schauen wir mal wie es wird.



Wir schauten uns das Programm auf dieser Tafel an (inklusive der spontanen Veränderungen) und waren erstmal überrascht. Das Konzept war für uns einmalig, denn es beginnt mit den sogenannten „Healing Days im Tipi Town“, bei denen es Konzerte, Vorträge, Workshops und verschiedene individuelle Angebote gibt. Zusätzlich geht dann am Wochenende die Party los und die verschiedenen Floors werden durchgängig bis zum Ende bespielt. 

Im Tipi Town kann man also vieles erleben wie zum Beispiel Mantrasessions, Soundhealing, Qi Gong, Tai-Chi, Drumcircles, Meditation. Es gibt Tanzworkshops, eine Radtour, Cello-, Flöten- oder Lautenkonzerte. Auch gibt es Workshops, bei denen man alles Mögliche lernen kann: zum Beispiel vegan kochen, Kräuter- und Naturkunde, Hennamalerei, Laufkultur und vieles mehr.

Ziel dabei ist es, spielerisch den Menschen in seine Selbstermächtigung einzuladen.

Klein aber fein: Es gibt drei, beziehungsweise vier verschiedene Floors, alle mit ihren besonderen Aspekten:
-Die „Celebration Area“ - quasi der Main Floor bei dem hauptsächlich Psytrance/Goa läuft, aber auch progressiver und schneller Techno.
-Die „Electronica Stage“ mit einer breiten Auswahl an DJs, die House, Disco, Deep-Techno, Dub, Ambient und noch alles Mögliche auflegen.
-Live Musik gibt es immer wieder bei der „Om-Stage“. Dort treten einzelne Musiker*innen auf, aber auch große Big Bands mit vielen Instrumenten.
-Als vierte „Stage“ füge ich den sogenannten „Freiraum der Einheit“ hinzu. Hierbei handelt es sich nicht wirklich um einen richtigen Floor, denn hier gibt es kein festes Programm (und das fanden wir extrem sympathisch). Manchmal gibt es dort auch eine Diskussionsrunde oder jemand trägt etwas vor. All das ist relativ spontan und man muss dort einfach vorbeischauen und sich überraschen lassen. Der Floor ist allerdings nur ein Teil von diesem Bereich. Das Kollektiv betreibt außerdem einen Essensbereich inklusive Brot Öfen, Chai und Abwaschstation, einen Massagebereich und eine Sauna. All das funktioniert über Wertschätzungsbeitrag und es darf sogar anders als über den monetären Weg ausgeglichen werden. Ziel dabei ist es, spielerisch den Menschen in seine Selbstermächtigung einzuladen. Jeder soll schauen was ihm oder ihr der genutzte Inhalt von Herzen aus Wert ist. 


Ein großes friedliches Ferienlager jeden Alters

Darüber hinaus gibt es auch noch einen total süßen und mit liebe gestalteten Kids Space, ebenfalls mit Programm und sogar einer Kinderbetreuung! 

All das herrscht unter dem Motto „May all beings be Happy“. Der Organisator Sebastian Enkelmann beschreibt das Festival „wie ein großes friedliches Ferienlager jeden Alters. Es ist eine Alternative zum Alltag und dient zum Wohlfühlen“ (aus der MAZ).

Wir beide können da nur zustimmen, denn genau das gelingt dem New Healing wirklich gut. Man fühlt sich dort tiefgreifend wohl. Das hat viele verschiedene Gründe, aber hauptsächlich liegt es daran, dass es unglaublich friedlich ist. Unter den ungefähr 2500 Besucher*innen sind enorm viele Kinder da, man sieht auch viele Hunde und dafür wird erstaunlich wenig geheult oder gebellt. Man kann das komplette Gelände Barfuß begehen, alles ist super sauber und es liegt so gut wie kein Glas rum. 



Das Essen ist komplett vegan: Es gibt verschiedene Stände und zwei „Volksküchen“, bei denen die Bezahlung über Wertschätzungsbeiträge läuft: Es steht also ein Topf mit lauter Scheinen unbewacht rum und alle setzen brav ihr Geld rein. Das muss man sich mal vorstellen, bei einem Festival von solcher Größe! So viel Vertrauen in sein Publikum zu haben ist schon was Besonderes. Zwischendurch wird man auch mal gefragt: „Könntet ihr mithelfen, das Auto auszuladen?“ Plötzlich entsteht eine Schlange, wie immer mit Kindern, Frauen und älteren und alle tragen fröhlich die Gemüsesäcke hinter die Theke ins Lager (natürlich ist alles regional und Bio). Keine 3 Minuten später ist das Auto leer, alle freuen sich und die Crew ruft laut „Danke euch!“ Daraufhin antworten die spontanen Helfer*innen: „Nein, danke euch fürs leckere Essen!“ 


Der Altersdurchschnitt unter den Erwachsenen liegt sicherlich über 30 und man sieht viele ältere Menschen. Dieser generationsübergreifende Aspekt macht viel aus: Statt mit einer homogenen Gruppe zu feiern, wo sich Gespräche, Witze, Kleidung und alles andere sehr ähnelt, ist man hier eher wie auf einem harmonischen Dorfplatz mit der gesamten bunten Familie, Opi und Omi, Säuglinge, Kinder und Teenies inklusive – und genau das macht die ganze Sache spannend, friedlich und menschlich. 

Irgendwie überfällt mich auf dieser Art von Festivals ein Gefühl absoluter Freiheit. Klar, zum einen liegt es daran, dass man im Urlaub ist, sein Handy ausmacht und im Zelt liegen lässt und den Alltag kurz vergisst. Allerdings steckt da noch mehr dahinter.
Aber wie genau definiert man eigentlich Freiheit? Im „Land of the Free“ ist man ganz sicher nicht wirklich frei, da sind wir uns alle einig. Man sagt ja die Freiheit des einen endet dort, wo die Freiheit des anderen beginnt. Das impliziert, dass man auf sein Gegenüber achtet und sensibel mit seiner Umwelt umgeht.
In der modernen Hippie-Bewegung (die ja die Goaszene letztendlich ist) wird dieser Gedanke und diese Lebensart an die Spitze getrieben. Gelungene Goa-Festivals sind im Grunde genommen große Treffen sensibler Menschen. 

Wenn das keine pure Freiheit ist...

Ich persönlich kenne keinen Ort, an dem man so stark das Gefühl hat, komplett frei zu sein wie auf Festivals und vor allem auf Psytrance Festivals. Wenn ich mir den Dancefloor vom Healing Festival angucke und sehe, wie zwei Kumpels sich wie Hunde im Staub raufen, gleichzeitig einige Männer und Frauen splitternackt wie zeitgenössische Tänzer*innen tanzen, Kinder rumrennen, Hunde spielen und mitten drin sitzt einer und meditiert, denk ich mir: Wenn das keine pure Freiheit ist, weiß ich nicht, was es sonst sein soll…  Klar mag der Anblick nicht allen gefallen, aber keine*r kann mir sagen, dass sich diese Menschen nicht frei fühlen.


Goa Musik kann man als übertrieben stark empfinden. Ich werde mich immer daran erinnern, wie meine Freundin ehrfürchtig und verkrampft das erste Mal auf einen Goa Floor zulief. Wenn man es nicht gewöhnt ist, kommt einem der Sound wirklich extrem vor. Diese tribalen Klänge kombiniert mit dem tiefen galoppierenden Bass, der durch den Körper strömt, das hat etwas Uriges, als wäre es irgendwie in unserer DNA verankert. Wenn man sich drauf einlässt und sich treiben lässt, kann eine*n diese Musik wirklich packen und in andere Dimensionen katapultieren.
Der Lehrer von einem Workshop, den wir am ersten Tag besucht hatten, fragte in die Runde: „Was ist das Wichtigste an der Musik?“ Nach vielen verschiedenen Antwortmöglichkeiten, die aber nie ganz zutreffend waren, löste er das Rätsel auf und antwortete: „Dass man zuhört!“
Sich drauf einlassen und zuhören sind also die Schlüssel. 


Spiritualismus beim New Healing Festival ist ein riesengroßes Thema und man könnte enorm viel dazu erzählen. Wir sind eigentlich nicht wirklich in diesem Thema drin, trotzdem kommt man auch als Außenstehende*r nicht komplett daran vorbei:
Als wir neugierig an einer Wiese mit dutzenden, zum Teil gigantischen Gongs vorbeiliefen, kam eine Frau mit schneeweißen Haaren auf uns zu und fragte uns, ob wir nicht an der nächsten Gong-Zeremonie teilhaben möchten. Erstmal sehr unsicher (aus Angst in einer stundenlangen „Hare-Krishna“ Runde zu geraten), sagten wir dann doch zu. Nach einer interessanten Einleitung über dieses faszinierende Instrument, wie man es spielt und welche Auswirkungen es auf Körper und Geist haben kann, durften wir selbst spielen und bekamen sogar kleine Einzelunterrichtsmomente. 

Nach der Erfahrung kann ich nur sagen, dass da viel mehr hinter steckt als ein bloßes Becken Instrument zu schlagen und genau so wird es mit den verschiedenen Disziplinen der Meditation und spirituellen Erforschung sein. Aber all das sollte man am besten selbst erleben! 


What if the hippies were right? Well, they most probably are… Zumindest schaffen sie es, ein wunderschönes Zusammensein zu erschaffen. Friedlich, respektvoll mit Umwelt und Natur und natürlich mit viel Spaß. Wäre es kein tolles Experiment, diese Wochenendutopie auf die Gesellschaft zu übertragen? 

Festivalfinder

New Healing 2019

12. - 19. August - Badesee Preddöhl


Alle Infos zum Festival