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Der Baltic Soul Weekender

"Es ist eine Herzensangelegenheit"


Wie Festival anders gehen kann, zeigt der Baltic Soul Weekender: Hier gibt es keine Schlammschlachten mit Glitzer oder den traditionellen Trichter schon morgens zum Frühstück, sondern familiäres Beisammensein und ganz viel Groove und Gefühl.

text Leonie Stege
redaktion Isabel Roudsarabi
fotos Paul Schäfer

lesezeit 6 Minuten

Der Baltic Soul Weekender ist also kein „klassisches“ Festival: Aber wie sollen wir uns dann so ein Wochenende am Weissenhäuser Strand, der Location des 2007 gegründeten Festivals, vorstellen?

Wir haben mit Gründer und Veranstalter Dan Dombrowe gesprochen, um zu erfahren, wie das Festival sich vor Ort genau anfühlt:

Kannst du ein bisschen über die Location erzählen? Der Weissenhäuser Strand ist ja eher etwas Besonderes in der Festivallandschaft.
Dan:
Alle Gäste schlafen komfortabel in eigenen Apartments und die Übernachtungen sind bereits im Ticketpreis enthalten. Das gab es vorher nicht in Deutschland. Es ist ein Indoor Komfort Festival, wenn man so will. Der Weissenhäuser Strand ist mit 800.000 Übernachtungen im Jahr eher eine kleine Stadt als eine Hotelanlage. Nach zwei Jahren Verhandlungen haben die Verantwortlichen damals endlich zugestimmt, das wir das Festival dort veranstalten können.

Der Weekender bietet neben gemütlichen Apartments auch Angebote für Kinder, inklusive Bällebad und Kletterwand und wer sich zwischen den Konzerten im Wellness Bereich entspannen möchte, kann das zum Beispiel im Dampfbad oder bei einer Massage tun. Allein die Location reicht also schon aus, das Wochenende am Meer zu etwas Besonderem zu machen. Angelehnt ist das Ganze an die Weekender Kultur der britischen Northern Soul und Clubkultur der 70er Jahre, bei denen vornehmlich alte Ferienparks gemietet wurden, um sich auf In- und Outdoor Floors austanzen zu können. Beim Baltic Soul funktioniert das heute zusätzlich mit einer Extra-Portion Komfort.

Was zeichnet euch als Festival aus? Und wie hat sich der Baltic Soul Weekender über die Jahre vielleicht auch verändert?
Dan: Am Anfang waren wir nur zu viert und haben uns wortwörtlich die Füße blutig gelaufen. Es gab ja keine Erfahrungswerte, da es ja ein völlig neues Festivalkonzept war. 

Es steht kein Zelt auf einer Wiese sondern wir greifen mit der Produktion in eine bestehende Stadtlogistik ein.

Mit den Jahren sind wir routinierter geworden und wir haben durch die produzierte Qualität eine echte Nische besetzt. 2011 und 2016 wurde der Baltic Soul Weekender als bestes Festival Deutschlands nominiert, was angesichts der Anzahl an Festivals in Deutschland wirklich überraschend war.

Wir haben uns auch international einen sehr guten Ruf erarbeitet, da das Line-up ganz anders ist, als bei vielen anderen Festivals. Viele der Künstler treten hier zum ersten Mal seit 30 oder 40 Jahren auf, oder zum allerersten oder letzten Mal. In den ersten Jahren war es schwer passende Künstler zu finden. Mittlerweile sind es viele Künstlerfreunde von Künstlerfreunden, die vom Weekender gehört haben und dort gern einmal auftreten möchten.


A propos Musik

Die Seele des Festivals ist – im wahrsten Sinne des Wortes – der Soul. Soul stand in den 1960er Jahren schon fast als Synonym für schwarze Popmusik und kann als eine Hauptströmung der afroamerikanischen Unterhaltungsmusik verstanden werden. Sie entwickelte sich Ende der 1950er Jahre aus Rhythm and Blues und Gospel. Das zu dieser Zeit vorwiegend weiße Musikbusiness nutze schwarze Künstler*innen häufig aus und so kam es, dass viele an ihrer eigenen Musik nicht einen Cent verdienten.

So auch die amerikanische Soul Sängerin Gloria Scott, die nach dem unglücklichen Ende ihrer kurzen musikalischen Karriere nach Guam im westpazifischen Ozean zog und dort in Offizierskasinos Soul-Klassiker sang. Kurz darauf rutsche sie in die Drogenszene ab, landete später sogar im Gefängnis. Nach fünf Jahren Haft ging sie schließlich zurück nach Los Angeles, hatte dort aber aufgrund hoher Steuerschulden weder ein besseres Leben noch einen Pass und verdiente ihr Geld mit selbstgemachtem Schmuck auf der Straße.

Viele dieser Künstler*innen wissen oft gar nicht, dass ihre Musik in Europa unglaublich populär geworden ist.

Und genau das will das Baltic Soul ändern, denn der Weekender ist weit mehr als nur ein Festival mit ausgeprägter Club- und Tanzkultur. Hier wird auch deutlich, was Dan damit meint, wenn er davon spricht, dass viele Musiker*innen an der Ostsee ihren ersten Gig seit sehr langer Zeit spielen dürfen.


Fast vergessene Künstler*innen bekommen hier nämlich endlich die soziale, rechtliche und finanzielle Unterstützung, die sie schon lange verdienen: Gemeinsam mit den Charity Anwälten des Weekenders setzt sich das Team für die Artists ein, sucht sie in der Welt auf, versucht oft über Jahre Rechte der Künstler*innen an ihrer eigenen Musik zurückzuholen und ihnen auf dem Festival eine Chance zu geben, ihren wohlverdienten Applaus zu genießen.

So verdient etwa die Sängerin Ann Sexton seit 2011, nach einem fünfjährigen Rechtsstreit, das erste Mal mit den Urheberrechten an ihrer Musik Geld. Auch Gloria Scott konnte der Baltic Soul Weekender unterstützen, indem Veranstalter Dan aus seinen eigenen Ersparnissen ihre Steuerschulden tilgte, damit Scott ihren Reisepass zurück erhielt und für ihren ersten Auftritt nach 37 Jahren an die Ostsee kommen konnte.

Dan, du setzt dich ja auch persönlich sehr für die Szene und deren Künstler*innen ein. Woher kommt deine Energie und Leidenschaft dafür?
Dan: Es ist eine Herzensangelegenheit.

Diese Künstler*innen sind die Grundlage unserer heutigen Clubkultur.

Ohne eine Ann Sexton gäbe es vielleicht keine Beyoncé. Diese Menschen mit ihren Talenten haben alles gegeben, um ihre Träume zu verwirklichen und mussten feststellen, dass es im Musik Business nicht nur um Musik, sondern eben auch um Business geht. Das ist für einige Künstler schwer nachzuvollziehen.
Auf der anderen Seite haben die Schallplatten und Publishing Firmen natürlich auch dafür gesorgt, dass es für Künstler immer schwerer wurde sich durch die Verträge zu arbeiten und das wichtige Kleingedruckte in vollem Umfang zu verstehen. Diese Menschen verdienen einfach einen würdevollen Abschied von der Bühne und echte Wertschätzung. Die bekommen sie beim Baltic Soul Weekender.

Von Energie und Menschlichkeit

Nicht nur der Crew ist es wichtig, etwas zurückzugeben und eine warme, herzliche Atmosphäre zu schaffen. Auch die Besuchenden tragen beim Baltic Soul Weekender dazu bei, dass Wertschätzung für die Szene und ihre Menschen hier förmlich in der Luft liegt.

Du hast erzählt, dass es in den 15 Jahren, die ihr jetzt stattfindet, noch nicht einen Secu Einsatz gegeben hat. Was macht euer Publikum und eure Atmosphäre so besonders?
Dan: Die Baltic Soul Family ist ein friedliches und freundliches Publikum - die meisten haben schon genug Partys, Konzerte und Festivals in ihrem Leben erlebt. Die wissen, worauf es ankommt und haben keine Lust auf Schlamm oder Stress. Sie wollen einfach nur entspannt abfeiern und tanzen. Auf fünf unterschiedlichen Tanzflächen gibt es unterschiedliche Musik zu hören, durch die sich immer der Rote Faden Soul Musik zieht. Von Funk zu Hip Hop, von Disco zu House. Für Musikliebhaber gibt es immer etwas zu entdecken.

Wenn dir einer auf den Fuß tritt, drehen sich drei Gäste um, die es theoretisch hätten sein können, und entschuldigen sich.

Die Energie und die Menschlichkeit vor Ort habe ich vorher so auch noch nicht erlebt.

Für die Zukunft des Festivals wünscht sich Dan nicht, dass das Festival immer größer wird. Im Gegenteil, er freut sich darüber, wenn die persönliche Atmosphäre, die seine Veranstaltung ausmacht, erhalten bleibt:

Dan: Wir können einfach nur noch besser werden. Und das sind wir für meinen Geschmack seit Beginn immer auch ein bisschen. Wenn die Gäste eine gute Zeit haben, erzählen sie das ihren, meist auch freundlichen, Freunden. Dann kommen die Freunde und bringen im nächsten Jahr neue freundliche Freunde mit. So sind wir meist schnell ausverkauft und das wollen wir auch so beibehalten. Wenig Werbung und dafür feinste Musik und das freundlichste Publikum, das man sich wünschen kann. Und alles direkt am Meer.

Allen, die das Spektakel des Festivals live erleben und sich auf eine Reise der Black Music, von den 1960er bis heute, begeben wollen, können wir schonmal verraten: Dieses Jahr findet der Baltic Soul Weekender mit seiner 16. Ausgabe vom 29. April bis 1. Mai 2022 am Weissenhäuser Strand an der Ostsee statt. Mit dabei sind unter anderem Jan Delay und Disko No. 1, The Blackbyrds und Gloria Scott, die seit ihrem ersten Auftritt beim Weekender zum Resident Artist geworden ist. 

Festivalfinder

Baltic Soul Weekender 2022

29. April - 1. Mai 2022 - Weissenhäuser Strand


Alle Infos zum Festival