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Über die Bedeutung der Jugendkultur

Zusammenrücken auf dem Modular


An einem Wochenende im Juni rückt die Jugend in Augsburg eng zusammen. Mal notgedrungen, unter einem der Aktivist*innentipis, wenn gerade Wolkenbruch herrscht. Mal bebend – wenn sich die Masse öffnet, um sich schlagartig wieder zusammenzuziehen und zwischen den Schuhen der Schlamm hochspritzt. Dann mal vorsichtig, wenn die Konzertnachbarin nach dem Moshpit eine andere ist als vorher. Und mal wird aus dem Zusammenrücken ein regelrechtes Zusammenwachsen.

text Olivia Busse
redaktion Leonie Stege, Isabel Roudsarabi
fotos Leonie Stege, Viktoria Kratzer, Kevin Nguyen, Kilian Seiler, Max Tank

lesezeit 6 Minuten

Geht es nach einzelnen Vertreter*innen der insgesamt 450 Volunteers, die sich bei dem 30.000 Besucher*innen starken Jugendkultur-Festival engagieren, so ist es der enorme Zusammenhalt der Crew, der das Modular auszeichnet. „Man wird echt zu einer Familie,” berichtet der 24-jährige Long, der als Volunteer am Merchstand arbeitet. Long ist einer der insgesamt 80 sogenannten Denkwerkstättler*innen, die sich ganzjährig in unterschiedlichen Arbeitsgruppen ehrenamtlich mit der Konzeption, Gestaltung und Umsetzung des Festivals beschäftigen. 

Ohne die Motivation der vorwiegend studentischen Freiwilligen würde es das dreitägige Non-Profit Festival so nicht geben und damit ein wichtiger Raum verloren gehen, in dem jugendliches Aufeinandertreffen stattfindet. Auch junge Menschen, die gerade erst etwa zum Studium nach Augsburg gezogen sind, befinden sich unter den Freiwilligen. „Das ist das Beste was du getan hast, weil du lernst einfach neue Leute kennen und triffst sie dann auch außerhalb des Festivals,” richtet Long an sie.

Jugendliche und junge Menschen nehmen eine zentrale Rolle bei dem vom Stadtjugendring Augsburg veranstalteten und städtisch geförderten Festival ein.

„Die Gestaltung von Freiräumen und der Drang nach Selbstverwirklichung ist nach zwei Jahren Pandemie bei jungen Menschen sehr präsent und es ist richtig und wichtig, dass der Stadtjugendring Augsburg (SJR) sich hierfür auch bei seinem Modular Festival positioniert,“ fasst es SJR-Vorsitzender Jonas Riegel Mitte April zusammen. So befinden sich anderthalb Monate später auf dem grünen Freiluft-Areal des stillgelegten Gaswerks in Augsburg nicht nur zwei Bühnen und eine DJ-Stage. Zwei offene Tipis mit unterschiedlichen Aktionsständen laden zudem zum Lernen, Austauschen und Diskutieren ein: Fridays For Future, eine Lastenrad-Pop-up-Ausstellung des Jüdischen Museums, ein Pride-Flaggen-Quiz und ein Schild auf dem sich liest: „Ich bin muslimisch. Stelle mir deine Fragen.”


Auch die Aktivist*innen der Augsburger Initiative OpenAfroAux sitzen an einem der Aktionstische. Es handelt sich um ein Kollektiv junger BIPoC, die sich gegen Rassismus und Diskriminierung in ihrer Stadt einsetzen. Die Abkürzung BIPoC steht für „Black, Indigenous, People of Color” und ist eine politische Selbstbezeichnung. Die Bildungsreferent*innen von OpenAfroAux bieten üblicherweise Antirassismus-Workshops an, leisten Aufklärungsarbeit, geben weißen Menschen Methoden an die Hand, ihre Vorurteile zu hinterfragen, sich selbst zu reflektieren und ihren weißen Privilegien bewusst zu werden. Für den Festival-Kontext haben sie ihre Methoden umfunktioniert: „Hier geht es beispielsweise um Schwarze Menschen, die wirklich Großes geleistet haben, die aber niemand kennt.“ Auf dem Tisch liegen die Portraits dieser Menschen. Der Stand kommt gut an. „Es waren schon einige da, die gesagt haben, sie haben sehr viel mitgenommen und sich in Zukunft auch mehr damit auseinandersetzen werden.”

Von Volunteers und Verantwortung

Im Jahr 2020, als die damalige Corona-Lage dem physischen Zusammenrücken noch ein zeitweises Ende gesetzt hatte, feierten 500 Menschen mit Stühlen und Masken das kleinere „Modular-Festle.“ 2019 durfte Ramon, damals selbst 19 Jahre alt, noch das 10-jährige Jubiläum des Festivals mitorganisieren. Die Ausgabe damals war, wie auch in diesem Jahr, auf eine tägliche Besucher*innenzahl von circa 10.000 Menschen ausgelegt war. 

Nun steht Ramon, einige Lock-Down-Phasen später, als 22-jähriger, werdender Veranstaltungskaufmann im Backstage und erzählt davon, wie prägend das Modular für ihn war.

Eine Freundin hatte Ramon ursprünglich mit dem Festival bekannt gemacht, 2018 arbeitete er zunächst als Gastro-Volunteer. Zur Zeit seines Abiturs bewarb er sich dann auf den Bundesfreiwilligendienst, der mit dem Festival eng verbunden ist. Am Tag der Abifeier habe ich die Zusage bekommen,“ erinnert er sich mit einem breiten Grinsen. Im Rahmen seines Bundesfreiwilligendienstes betreute er Kinder und Jugendliche in einem örtlichen Jugendzentrum, veranstaltete kleinere Konzerte, Lesungen, Vorträge und Workshops und wirkte dadurch maßgeblich bei der Schaffung eines jugendkulturellen Angebots in der Stadt mit. In einer zweiten Phase seines freiwilligen Jahres assistierte er dann bei der Gestaltung des Rahmenprogramms Festivals.

Zusammenhalt durch Interaktion

Zum Rahmenprogramm gehören in diesem Jahr nicht nur die Aktivist*innentipis, sondern auch eine Rollschuh-Disco im stillgelegten Gaskessel. Dieser stehe im Zeichen der Selbstdarstellung, wie der 20-jährige Designstudent und freischaffende Künstler mit dem Künstlernamen Igor verrät. So ist die kreisrunde Rollschuhfläche von einer Kleidertauschbörse, einer Friseur-Station und einer liebevoll gestalteten Künstler*innen-Ecke umringt, die zum Portrait sitzen einlädt. Gegen eine freiwillige Spende darf man aus dem Karikatur-Stil sechs unterschiedlicher junger Künstler*innen wählen und das auf eine Postkarte skizzierte Ergebnis im Anschluss mit nach Hause nehmen. Es geht in den Worten Igors darum, „diesen Blickwinkel von jedem Menschen auf andere Menschen“ greifbar zu machen. Die Idee dazu sei beim gemeinsamen Kaffeetrinken gereift. „Ich habe das Gefühl, es kommt hier auch die lokale Kunst-Szene zusammen. Dadurch, dass die in Augsburg noch nicht so riesig ist und man sich untereinander kennt, entsteht Zusammenhalt. Und der ist extrem wichtig.”


Der Zusammenhalt der Crew bringt nicht nur das Gefühl mit sich, Teil eines Ganzen zu werden. Auch die Abläufe gestalten sich von Jahr zu Jahr reibungsloser. Ein Fundus an Wissen, der sich dabei anreichert, wird dann von Volu zu Volu weitergegeben. 

Die freiwillige Arbeit gehört hierher wie die Musiker*innen auf die Bühne.

Zwischen Acts wie Nina Chuba, Symba, Power Plush, Bilderbuch und der jungen Augsburger Retro-Indie-Pop Band Mount Adige wird zum Applaus für die Arbeit der 450 Freiwilligen aufgerufen. Die enorme Wertschätzung für ihr Schaffen wird spätestens dann sichtlich spürbar.

Eine Familie für die Jugend

So wie die Aktivist*innen unter den Tipis richtet auch Ramon seinen Blick in die Zukunft. „Wir könnten alle noch ein bisschen jünger werden, aber ich glaub wir sind da auf einem guten Weg,” äußert er sich im Hinblick auf die Crew. Schließlich gibt es auch noch die unter 18-Jährigen, die sich womöglich einbringen möchten. Die auf 16 bis 27 Jahre definierte Zielgruppe des Festivals würde man über das Booking der Musik-Acts und die niedrigen Ticket-Preise allerdings schon ganz gut erreichen: „Das ist ja auch unser Auftrag – für die Jugend und nicht für die Junggebliebenen.”

Nicht nur der strömende Regen, der am ersten Veranstaltungstag über das Modular hereinbricht, versteht es also, auf dem Gaswerk in Augsburg Jugendliche und junge Menschen eng zusammenrücken zu lassen. Auch die Künstler*innen auf den Bühnen leisten durch den Ausbruch der Moshpit-Euphorie ihren Beitrag dazu. Und allen voran ist es die Crew, die das Modular zur Familie zusammenwachsen lässt.

Festivalfinder

Modular Festival 2023

26. - 28. Mai - Augsburg


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