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RBF Focus Session zum Status Quo der Livebranche

"Wir kochen ja auch nur mit Wasser"


Am vergangenen Dienstag fand erneut eine Reeperbahn Festival Focus Session statt, diesmal zum Thema "Livebranche - Ein politischer Kraftakt". Im Festsaal Kreuzberg versammelten sich dafür Vertreter*innen aus Kulturpolitik und Veranstaltungswirtschaft zum Townhall Meeting.

text Isabel Roudsarabi
fotos Reeperbahn Festival

lesezeit 5 Minuten

Mit dabei waren unter anderem Erhard Grundl - Kulturpolitischer Sprecher der Grünen, Sandra Beckmann von der Bundesvereinigung Veranstaltungswirtschaft, Pamela Schobeß - Vorsitzende der Clubcommission und Daniel Schneider, MdB für die SPD und ehemaliger Veranstalter des Deichbrand Festivals.

Wieder ging es vor allem um die Corona-Frage, um den aktuellen Status der Livebranche und darum, wie Politik und Musikwirtschaft zukünftig zusammenarbeiten sollten. Denn trotz teils milliardenschwerer Förderprogramme und Verbandsarbeit seitens der Branche scheint die effektive Verbindung beider Akteur*innen immer noch immer nur mit Einschränkungen zu funktionieren.

v.l.n.r. Pamela Schobeß, Ben Mitha, Fetsum Sebhat und Sandra Beckmann

Verständnis und Wahrnehmung

So richtig "Townhall Meeting"-Stimmung kam am Abend leider nicht auf. Obwohl Moderator Jan Hendrik Becker hier und da eine stichelnde Frage stellte, zeigte sich vor allem die Politiker*innen Seite recht unbeeindruckt. Die Kulturbranche stünde in der Verantwortung, mehr auf die Politik zuzugehen, ihre Forderungen lauter zu gestalten und ihre Kultur und Strukturen zu verdeutlichen, so Anikó Merten, Kulturpolitische Sprecherin der FDP. Außerdem müsse man gerade beim Thema Finanzen natürlich daran denken, dass nicht nur Musik- und Livewirtschaft von der Pandemie hart getroffen wurden und Förderprogramme und Zuschüsse auch in anderen Branchen dringend benötigt würden. Später ergänzte Helge Lindh, wiederum Kulturpolitischer Sprecher der SPD:

"Da kann man von den Schützen noch lernen"

- eine Anspielung auf die aggressive Lobbyarbeit der Schützenverbände, der die der Kulturpolitik laut Lindh noch in einigem nachstünde. Ein bisschen zu nett sei man dort noch.

Obwohl seitens der Politiker*innen immer wieder beteuert wurde, dass man sich über die letzten Jahre ein besseres Verständnis der Kulturbranche angeeignet hatte, so richtig lies sich das in vielen Aussagen der Anwesenden nicht erkennen. Einzig Grundl gestand ein, dass man für eine gemeinsame Zukunft noch den ein oder anderen Schritt vor sich hatte. Und Schneider räumte ein, dass in Sachen Kulturpolitik so richtig viel in der neuen Regierung noch nicht geschehen sei: "Wir kochen ja auch nur mit Wasser."

Daniel Schneider, MdB

Das Ding mit den Förderprogrammen

Großes Thema waren erneut auch die Förderprogramme des Bundes in Richtung kultureller Einrichtungen. Während die NeustartKultur Programme auch von den Vertreter*innen der Branche gelobt wurden, hätte der Sonderfonds sein Ziel eher verfehlt. Zu kurzlebig und zu einschränkend seien die Richtlinien gewesen. Auch seien zu viele Gewerke und Antragstellende mal wieder durchs Raster gefallen. Der letzte Ausweg für viele: Die Grundsicherung. Fetsum Sebhat, selbst Künstler und Veranstalter des gemeinnützigen PxP Festivals, erzählte von seinem eigenen Fall: knapp 1.000€ im Monat seien ihm angeboten wurden - für einen Haushalt mit drei Kindern, während Institutionen wie dem Reeperbahn Festival selbst im Jahr knapp 8 Millionen Euro Förderungen zustehen.

Im großen und ganzen ginge es auch nicht um das, was aus der Musik erwirtschaftet würde, sondern den abstrakten Wert der Kultur in unserer Gesellschaft. Fetsum erbat daraufhin eine neue Bemessungsgrundlage für künstlerische Tätigkeiten:

"Wir reden hier nicht von Zahlen, sondern von der Bedeutung von Musik im Leben von uns allen."

Und für eine gerechte und faire Behandlung und Unterstützung der Branche und ihrer Künstler*innen, seien nicht allein sie selbst verantwortlich, gerade, wenn nebenher noch um die Existenz gerungen werden müsse. "Die Lust dafür zu kämpfen weicht schnell der Verzweiflung", so Grundl.

Mit dem neuen Infektionsschutzgesetz, das die Hoheit über Maßnahmen wieder auf die Schultern der Länder verteilt, werde außerdem das Planen von Touren wieder eine komplexere Aufgabe und die Phase nach diesem Lockdown somit eine der kritischsten, wenn es ums Überleben der Branche geht. Dienstleistende rufen zum Teil (verständlicherweise) utopische Preise auf, Techniker*innen seien auf Grund von Arbeitsmangel in andere Branchen abgewandert, das Publikum immer noch zaghaft beim Erwerb neuer Tickets für Konzerte und co.

Sandra Beckmann

Weiter so?

Obwohl sich Politik und Veranstaltungsbranche über den Abend hinweg auch immer wieder Zugeständnisse machten: So richtig auf den grünen Zweig kam man trotz allem nicht. Auch die im Voraus des Meetings beantworteten Umfragen zeichneten das Bild einer Branche, die der neuen Regierung eher unsicher als hoffnungsvoll entgegen blickt. Mehr als 40% der Teilnehmenden bewerteten etwa Claudia Roths bisherige Arbeit als Staatsministerin für Kultur und Medien als "unzureichend", die Gesamtregierung schnitt immerhin mit einem "befriedigend" bis "ausreichend" ab.

Und was macht man jetzt daraus? Wie soll die gemeinsame Zukunft aussehen? Laut Branchenvertreter*innen müsse es definitiv eine Verlängerung der Programme geben, ein NeustartKultur 3 und eine regelmäßigere und intensivere Kommunikation zwischen Politik und Kulturakteur*innen. Schneider, einer der wenigen Bundestagsabgeordneten mit Popkulturellem Background schloss sich dem bei seinem Schlussplädoyer an: "[Die Zusammenarbeit und Struktur] muss nachhaltiger werden, im ganzheitlichen Sinne." Wie genau das aussehen wird und wie die nächsten Monate sich auch im Licht des Ukraine Krieges gestalten werden, darauf hatte keine*r der Anwesenden eine wirklich konkrete Antwort.