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Erfahrungen aus dem letzten Sommer und ein Ausblick auf den nächsten

Von 2G und Impfdurchbrüchen


Der Himmel ergraut und wir tauschen das Dosenbier gegen eine Tasse Glühwein ein. Auch wenn an Glühwein wirklich nichts zu beanstanden ist, kann das nur eins bedeuten: Der Festivalsommer ist vorbei. Die Most Wanted: Music blickt vom 26.-28. Oktober darauf zurück. Digital und analog.

text & redaktion Leonie Stege
fotos Christina Gilch & Till Petersen

lesezeit 4 Minuten

Denn dieses Jahr war alles ganz anders. Zwischen 3G, Impfpässen und Stäbchen in der Nase haben wir fast ganz vergessen, dass wir aufs Festival fahren. Aber nach der langen Anreise, dem Warten in den ewig langen Schlangen vor den Testzentren und den üblichen Strapazen des Zeltaufschlagens, konnte man die Pandemie endlich mal wieder für ein paar Tage vergessen.

Triple G - Geimpft, genesen, getestet

Um einen weiteren Anstieg der Corona-Infektionszahlen zu vermeiden und die Überlastung der Krankenhäuser vorzubeugen, haben sich Bund und Länder etwas Neues überlegt: Die 3G-Regelung – geimpft, genesen, getestet. Wer also nicht vollständig geimpft ist oder als genesen gilt, muss in vielen Fällen - auch auf Festivals - einen Schnell- oder PCR-Test vorlegen. Die 3G-Regelung trat am 23. August in Kraft, jedoch haben Veranstaltende in nahezu allen Bundesländern auch die Möglichkeit die 2G-Option zu wählen. Betreiber:innen können jetzt also selbst entscheiden, ob sie die Innenräume nur für Genesene und Geimpfte (2G) öffnen, oder auch Getesteten (3G) den Zutritt erlauben. Dafür muss immer ein entsprechendes Dokument, also Impfpass oder Genesenenzertifikat vorgelegt werden. Ein wesentlicher Unterschied ist, dass bei 2G-Veranstaltungen bisherige Coronamaßnahmen wie Abstand und Maske wegfallen.

Das ist auch das ausschlaggebende Argument für Stephan Hengst, Director der Most Wanted: Music, den Showcase-Part des Festivals, MW:M Live, als 2G-Veranstaltung stattfinden zu lassen:

„Wir haben uns bei unserem Showcase-Festival für die 2G-Regelung entschieden, weil wir den Besucher:innen hier endlich ein Stück weit das Gefühl von Freiheit und Normalität zurückgeben möchten.“

Doch neben dem Vorteil für die Besuchenden, zumindest die, die in die Gruppe der Geimpften und Genesenen fallen, haben Veranstaltende auch wieder die Chance ihren Lebensunterhalt zu verdienen, ohne dabei die Virusverbreitung zu fördern und somit einen weiteren Lockdown zu provozieren. Außerdem wird durch die 2G-Regelung das Impfen attraktiver: Um die Gruppe derer, die zwar nicht grundsätzlich gegen eine Impfung seien, aber einfach noch keine Dringlichkeit verspürt hätten, dazu anzuregen, es sich anders zu überlegen.

Allerdings lässt sich nicht bestreiten, dass die 2G-Regelung die Gesellschaft spalten könnte. Gerade für diejenigen, die sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen können, kann sie zu Nachteilen führen. Ohne eigenes Verschulden ausgegrenzt zu werden, sei kein schönes Gefühl, wie uns eine Betroffene erklärt, die hier anonym bleiben möchte: Ich habe mich definitiv richtig mies gefühlt, weil ich relativ allein dastand mit dem Problem. Es gab die Möglichkeit einen PCR-Test zu machen, der aber mit um die 60€ relativ teuer ist. Dann kam noch hinzu, dass ich ein Schuldgefühl den anderen gegenüber entwickelt habe, die mir in der Situation finanziell aushelfen wollten. Auch wenn ich davon sehr gerührt war, hat es sich einfach nicht gut angefühlt.“ Im gleichen Zuge erklärte sie, dass ihre Mitbewohnerin gerade an Covid-19 erkrankt sei und sie sich deswegen aktuell in Quarantäne befindet. Obwohl ihre Mitbewohnerin schon vor Wochen beide Impfungen erhalten hat.

Leben mit Risiko?

Laut dem RKI schützt eine Impfung gegen Covid-19 zweifellos gut vor der Erkrankung. Dennoch bietet sie keinen hunderprozentigen Schutz, sodass Impfdurchbrüche trotzdem möglich sind. Das wirft natürlich die Frage auf, wie sinnvoll die 2G-Regelung überhaupt ist und ob eine Testpflicht für alle nicht auch auf diesen Veranstaltungen eine gute Idee ist. Denn auch trotz des häufig weniger schlimmen Verlaufs durch die Impfung, sind geimpfte Erkrankte weiterhin ansteckend. Zudem besteht das Risiko, dass das Virus unbemerkt an andere übertragen wird, weil durch die Impfung keine oder nur minimale Symptome auftreten.

Circa zwei Wochen nach der Wiedereröffnung des Berliner Techno-Club Berghain wurden dort zum Beispiel 19 Corona-Infektionen vermeldet. Alle Betroffenen hatten einen vollständigen Impfschutz und wiesen deshalb nur milde Krankheitsverläufe auf. Wie dieser Corona Ausbruch passieren konnte, ist derzeit jedoch noch unklar, denn auch hier galt die 2G-Regelung. Durch die milden Verläufe blickt der Verbandssprecher der Clubcommission Lutz Leichsenring in einem Interview mit der dpa der Situation aber entspannt entgegen: 

"Wir glauben, dass es zur Normalität gehört. Es ist ein Risiko, mit dem wir jetzt leben“

Die Clubcommission plädiert für die 3G-Regel, da Clubs eine sozial verbindende Rolle spielten und durch Fördergelder ihre Locations mit Lüftungsanlagen hätten aufrüsten können.

SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach sieht die Sache allerdings ganz anders, wie er dem Kölner Stadt-Anzeiger erklärt. Er warnt vor einer erneuten Corona-Welle zur kalten Jahreszeit, wenn sich das Leben wieder in geschlossene Räume verlagert. Auch seien immer noch 30% der unter 60-jährigen ungeimpft. Laut Lauterbach wird diese Zahl immer noch unterschätzt, weshalb er sich klar für die weitere Durchsetzung der 2G-Regelung ausspricht.


3G Festivals

Das Reeperbahn Festival und das About You Pangea Festival sind nur zwei Beispiele von Festivals, die dieses Jahr mit Coronamaßnahmen als 3G Veranstaltung stattfanden. 

Detlef Schwarte, Mitbegründer des Reeperbahn Festivals, erzählt uns, dass sie ihr Festival auch gerne als 2G-Veranstaltung durchgeführt hätten, allerdings die Vorbereitungszeit dafür nicht ausgereicht hat. Ein großer Nachteil der 3G-Regelung, so Schwarte, ist, dass ein aufwendigeres Hygienekonzept erstellt werden müsse und deutlich mehr Personal gebraucht werde - bei wesentlich geringeren Kapazitäten für Besuchende. 2G bringe die Möglichkeit der größeren Auslastung mit sich, aber sei natürlich viel weniger inklusiv.

Auch für das About You Pangea Festival war die Umsetzung ihrer Veranstaltung als 3G-Event nicht einfach. Auf ihrem Instagram Kanal entschuldigen sie sich für die lange Wartezeit am Donnerstag:

"Wir haben sehr viel Energie und Zeit reingesteckt das super vorzubereiten. Unser Anspruch war es auf jeden Fall, dass man in maximal 1,5h Stunden Wartezeit durch den Einlass kommt."

Für die Veranstalter:innen war die Verzögerung besonders frustrierend, da eigentlich vorher besonders viel Mühe in die Koordination der Testzentren gesteckt worden sei und der Plan wegen eines Missverständnisses mit den Dienstleistenden nicht aufging. Sie wollen die Situation, auch in Hinblick auf das nächste Jahr, gründlich aufarbeiten. Dennoch sind die Veranstaltenden froh darüber, das Pangea 2021 realisiert zu haben und sprechen von vielen Emotionen und positiver Energie seitens der Künstler:innen, der Besuchenden und des Teams.

Corona goes Festivalsaison 2022?

Insgesamt ist es natürlich klar, dass sich alle, Besuchende wie Veranstaltende, wieder unkomplizierte und stressfreie Events - am besten ganz ohne Corona - wünschen. Bei jeder Regelung muss am Ende eine Seite einen Kompromiss eingehen, seien es die Besuchenden, die Veranstaltenden oder die Politik. Deswegen gibt es keine klare Antwort auf die Frage nach der perfekten Lösung für alle. Außerdem steht nach wie vor natürlich im Raum: Wie wird unser Festivalsommer 2022 aussehen? Können wir wirklich den “Freedom Day” mit Aufhebung aller Corona Maßnahmen gegen Ende des Jahres erwarten, so wie ihn beispielsweise das Forum Veranstaltungswirtschaft sich wünscht, oder überrollt uns erneut eine Corona Welle? 
Diesem Thema widmet sich die MW:M auch in ihrem Programm, etwa in dem Panel "Summer of Live 2021: Half-way Recovery Party?", auf dem neben anderen Veranstalter:innen auch Hans Jensen, Geschäftsführer des About You Pangea Festivals, sprechen wird.

Für uns keine Frage: Wenn es sein muss, stellen wir uns wieder stundenlang in endlose Schlangen unserer Lieblingsfestivals, nur um endlich wieder gemütlich im Campingstuhl ein Bier in der Hand zu halten und sich auf das abendliche Line-up freuen zu können. Denn selbst wenn Festivals sich jetzt für immer verändern oder doch alles wieder wie früher wird, werden wir sie trotzdem immer noch genauso gerne besuchen, um mal wieder aus dem Alltag auszubrechen und alles um uns herum zu vergessen. Denn genau das ist doch das, was wir so sehr lieben und unsere kleinen, oder großen, Festivalherzchen höher schlagen lässt.

Festivalfinder

Most Wanted: Music 2021

26, - 28. Oktober – Berlin


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