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Gesprächsfetzen zwischen Zelt und Mainstage

Reflexionen


Während wir gerade so von Musikact zu Musikact schweben, uns die Sonne morgens blendet, sobald wir aus dem Zelt taumeln, bleiben uns so manche Gesprächsfetzen in Erinnerung. Die einen positiver, die anderen negativer.

text Sebastian Bondrea
redaktion Olivia Busse
fotos Falko Glöckner, Florian Anhorn, Ann-Sophie Henne, Christina Gilch, Sascha Kautz

lesedauer 4 Minuten

TRIGGERWARNUNG  Dieser Beitrag thematisiert unter anderem sexuelle Übergriffigkeit und reproduziert rassistisch Narrative.

Die folgenden Ereignisse haben sich so nie 1:1 abgespielt, könnten aber genauso vorkommen. Jedes Jahr. Viele Male. Auf allen Festivals. Sie sind eine Verschmelzung unzähliger persönlich erlebter, gesehener oder gehörter Geschichten. Sie dienen nicht dem Angriff, vielmehr wollen sie gedeutet werden.

Über das Mitnehmen, Wegräumen und Stehenlassen

„Ob uns die Natur am Herzen liegt? Ja natürlich! Wir wählen Grüne, gehen auf FFF Demos, denken progressiv. Nieder mit den alten weißen Männern. Siehst doch, wir haben unseren Campingbereich sauber gehalten. Ok nicht ganz, aber in zehn Minuten wirst du hier nichts wiedererkennen. Auf jeden Fall cool, dass sich das Festival auch mit Nachhaltigkeit und Umweltschutz auseinandersetzt und sich einige Anreize überlegt hat. Ok – jetzt müssen wir aber weitermachen, sonst kommen wir hier nie weg. Schau da vorne, da liegt noch was. Ja, pack das bei mir in die Tüte. Dort unter dem Stuhl liegt auch noch ein Sektkorken. Isst noch jemand den halben Döner, der hier liegt? Sieht bisschen eklig aus, aber… Ach was soll's, weg damit. Leute was ist hiermit? Kann das auch weg? Ok cool. Ja, dann geht ihr schon mal zur Pfandstelle und gebt die Säcke ab, wir laden die Taschen ins Auto. Die Zelte? Kein Plan, lass stehen, vielleicht hat ja jemand Bock drauf und nimmt sie mit. Das Sofa? Uff, das ist ganz schön sperrig und 3 Tage Party und Witterung haben ihre Spuren hinterlassen. Lass stehen, wird sich schon jemand drum kümmern.“

Zelte aufschlagen zwischen Idealist*innen, Pazifismus und der Extase

„Kriege zwischen Staaten oder Bürgerkrieg, – was macht s für’n Unterschied, am Ende gibt es nur Verlierer*innen, richtig? Ok, außer dem Kapitalisten, aber der ist eh mehr herzlose Maschine als ein mitfühlender Mensch. Wisst ihr Leute, als Pazifist sag ich: Raus aus den Krisengebieten, weg mit der Armee, Waffenlobby verbieten und Waffenproduzenten enteignen. Wir beliefern die ganze Welt mit Waffen und profitieren vom Leid anderer. Im Grunde bringen wir das Leid doch über die. Also ich hab da kein Bock drauf, so 'ne Scheiße möchte ich nicht unterstützen. Deshalb müssen wir raus auf die Straße, Demos organisieren, Proteste in die Schlagzeilen bringen, Hashtags großmachen, Insta zuspammen. Kampf auf allen Eben…. Ah, mein Freund, da bist du ja endlich. Komm, setz dich neben mich. Hier nimm das als Unterlage. Brauchst du ‘ne Karte? Ah, I see, komplett ausgestattet. Profi. Ja mach ‘ne Fette, soll ja richtig scheppern. Was kriegst du fürs Gramm, Hunni? Ok hier.“


Zerkratzte, rosarote Brillen - weggeworfen und im Gras liegend

„Hahaha, ja war ein wilder Abend, wir hatten viel Spaß, waren die meiste Zeit auf der Tanzfläche, vorne links an den Boxen. Bisschen getrunken, bisschen getanzt, bisschen rumgemacht. Haben die Flasche zu zweit geleert, glaub ihr hat es aber nicht so geschmeckt. Nach jedem Schluck hat sie das Gesicht verzogen. Hab vielleicht bei der Mische ein wenig übertrieben, haha. Aber hey, hat sie auch nicht davon abgehalten, mir ständig die Bottle aus der Hand zu reißen und das halbe Ding wegzuziehen. Oh shit, sorry, haste mal ein Taschentuch, ich glaub ich krieg Nasenbluten. Danke. Na ja, anyway, irgendwann war sie so dicht, ist nur noch rumgestolpert, hat rumgelallt, sich irgendwo abgelegt. Hab sie dann ins Zelt gebracht, hat schon bisschen genervt. Was dort dann passiert ist? Haha, ein Gentleman genießt und schweigt, du weißt schon. Echt? Ne hab sie heute noch nicht gesehen, kein Plan warum sie geheult hat, vielleicht Psychokater oder so, haha.“

"Ok Thorsten, sorry, ich wusste nicht, dass meine Frage unangebracht war"

„Gott ich liebe Festivals einfach, wie ein großes Familienfest, nur ohne den creepy Onkel, der aus falscher Höflichkeit doch jedes Jahr eingeladen wird. Tausende unbekannte Gleichgesinnte und man weiß nie, auf welchen spannenden Menschen oder spannende Geschichte man als nächstes trifft. Vermutlich wären auch wir fünf uns, ohne dieses Festival, nie begegnet. Woher kommt ihr eigentlich, Pavel, erzähl mal? Ah cool, meine beste Freundin ist auch aus Rumänien. Ihre Eltern laden mich öfter zum Essen ein und machen diese leckeren Krautwickel, wie heißt das bei euch? Sarmale, richtig. Ich liebe die Dinger. Ich bin ja in Ungarn geboren, bei uns heißen die Töltött Kaposzta. Was ist mit dir Jamal? Woher bist du? Jemen? Krass, eine Freundin von mir ist dort gerade als Entwicklungshelferin unterwegs. Vielleicht kannst du mir ein paar Worte beibringen, dann kann ich sie das nächste Mal am Telefon überraschen. Äh, wie was? Ok Thorsten, sorry, ich wusste nicht, dass meine Frage unangebracht war. Ich wollte überhaupt niemandem zu nahe treten. Dann lass uns einfach über was anderes quatschen, ja.“