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"In den Wirbel der isländischen Musikszene"

Magnús Jóhann über seine elf Auftritte beim Iceland Airwaves 2018


Islands Bevölkerung zählt circa 350.000 Menschen – in etwa so viele wie Bielefeld oder Bochum. Zusätzlich zu der hohen Fluktuation an Tourist*innen stockt das Iceland Airwaves Festival einmal im Jahr die Einwohnerzahl mit Talentsuchenden der Musikindustrie auf. Knapp 300 Acts stehen bei dem Newcomer-Festival auf der Bühne – davon sind in diesem Jahr erstmals 50% Frauen. Neben internationalen Newcomer-Acts setzte das Festival schon immer auch auf isländische Künstler*innen.

interview Henrike Schröder
redaktion Tina Huynh-Le, Jonas Rogge
fotos Ingvar Högni Ragnarsson, Sturla Magnússon

Und wer jetzt krampfhaft überlegt, wie viele Acts Bielefeld oder Bochum in letzter Zeit hervorgebracht haben: Islands Musikszene funktioniert anders. Gerade wegen der Größe des Landes ist sie perfekt vernetzt, auch über Genregrenzen hinaus wird kooperiert. So kommt es auch mal vor, dass ein Künstler in fünf, sechs, sieben oder gleich zwölf unterschiedlichen Bands auf dem Iceland Airwaves spielt, so wie Magnús Jóhann, der als Solokünstler und gemeinsam mit Moses Hightower, Hildur, Logi Pedro, GDRN, Unnsteinn, Helgi, Birgir, Matthildur, Elín Harpa, Sycamore Tree, Gabríel Ólafs auftreten sollte.

Nach meiner Interviewanfrage kam schnell eine Antwort von ihm. Ein Interview würde er gerne geben, allerdings sollte ich vorher unbedingt erfahren, dass er doch nicht mit zwölf, sondern lediglich mit elf Acts zusammen spielen werde. Unnsteinn musste seine Show absagen, weil er gerade Vater geworden ist.

Also elf Acts. Wie kam es dazu?
Schwierige Frage. Ich fing an, in Reykjavík mit der Rock/Pop-Band Electric Elephant zu spielen, als ich noch in der High School war. Nach meinem Abschluss trat ich dann mit der Pop-Sängerin Glowie auf, durch die ich viele Leute kennenlernte und seitdem haben die Gigs immer mehr zugenommen. Ein großer Faktor ist auch, dass ich viel mit kreativen Menschen herumhänge und immer offen bin, mit und für jeden zu spielen, unabhängig von Stil und Status der Person. Ich glaube außerdem, dass es mir schwerfällt, nein zu sagen...

Das ist in der isländischen Musikszene so üblich – man arbeitet mit unterschiedlichen Leuten, die auch wiederum mit einem Haufen anderer Bands unterschiedlichster Musikstile arbeiten.

Und dabei sind das nicht einmal alle Bands, mit denen du was zu tun hast. Wie viele Bands sind es insgesamt? Und wie viel von dir steckt eigentlich in den verschiedenen Projekten?
Ich habe es nicht wirklich gezählt, aber seit ich als Freelancer in Reykjavík arbeite, gehört es zu meinem Job, mich an verschiedene Projekte und Musikstile anpassen zu können. Ich arbeite viel im Studio. Manchmal nehme ich einfach nur das Keyboard auf, produziere oder arrangiere im Studio, trete aber niemals live mit dem Künstler auf. Manchmal mache ich beides, es variiert wirklich sehr. Island ist auch so klein, dass man manchmal an einem Projekt beteiligt ist, ein paar Auftritte hat und dann ist direkt wieder Pause und ich muss mir etwas Neues suchen. Das ist in der isländischen Musikszene so üblich – man arbeitet mit unterschiedlichen Leuten, die auch wiederum mit einem Haufen anderer Bands unterschiedlichster Musikstile arbeiten.

Wie sieht das bei deiner eigenen Musik aus?
Die nutze ich als Plattform, um mit verschiedenen musikalischen Konzepten und Ideen, die mich interessieren, zu experimentieren. Das geht manchmal nur alleine. Deswegen arbeite ich viel für mich an meiner eigenen Musik, komponiere und nehme sie in meinem Studio auf. Kürzlich habe ich allerdings auch neue Musik für mein zweites Album in Sundlaugin aufgenommen, dem alten Studio von Sigur Rós. Während dieser Session hatte ich den Schlagzeuger Magnús Trygvason Eliassen und den Saxophonisten Tumi Árnason dabei. Mit denen habe ich einige Songs arrangiert und komponiert. Und mein Freund Bergur Þórisson (Hugar, Björk) hat schließlich die Musik für mich aufgenommen. Bei meinem ersten Album habe ich zusätzlich mit einigen Streichern gearbeitet. Selbst wenn die Musik nur von mir selbst komponiert wird, bin ich schließlich doch nie ganz alleine.


Wie ist es beim Iceland Airwaves zu spielen? Was macht dieses Festival für dich aus?
Ich habe schon ein paar Mal auf dem Festival gespielt und war vorher schon als Besucher oft da. Was es meiner Meinung nach so besonders macht, ist die Atmosphäre der ganzen Stadt. Das Leben in der Innenstadt wird so lebendig und voller Energie. Ich mag das sehr. Ich persönlich verbinde das Festival jedoch auch mit dem Schleppen einer Menge Ausrüstung, Stress und manchmal etwas Panik. Jedes Jahr sage ich mir, dass ich nur eine bestimmte Menge Gigs spielen werde, um den ganzen Stress zu vermeiden. Aber dann sage ich doch immer zu vielen Leuten zu…

Und dabei spielst du mit Künstler*innen unterschiedlichster Genres – von Singer / Songwriter bis Soul, HipHop, Pop und Folk. Wie gehst du mit diesen verschiedenen Stilen um?
Ich höre selber alle Arten von Musik an und sehe es deshalb als Glück, mit so vielen unterschiedlichen Musikstilen arbeiten zu können. Für mich ist es selbstverständlich geworden, verschiedenste Stile zu spielen. Das Schwierigste dabei ist, die Musik und die Stimmung zu verstehen und sich damit auseinanderzusetzen, worum es bei der Musik geht. Wenn ich zum Beispiel zu einem Auftritt komme, der mir technisch sehr wenig abverlangt, aber dafür eine Menge Seele und Gefühl erfordert und ich denke, jetzt werde ich allen zeigen, wie gut ich mein Instrument spielen kann, dann mache ich was falsch.

Ich habe das Gefühl, es ist so ein isländisches Ding, Kooperationen völlig unabhängig von Genres einzugehen. Was meinst du? Hat das vielleicht was mit der Größe Islands zu tun?
Ich denke schon. Island hat eine Bevölkerung von etwa 350.000. Sobald man in der Musikszene drin ist, kennt man direkt jeden. Man könnte zwar schon sagen, dass es ein paar Szenen gibt, wie zum Beispiel die Hip-Hop-Szene oder die Heavy Metal-Szene, aber sie sind nicht groß genug, um in sich geschlossen zu sein. Deshalb ist es ganz natürlich, dass man mit Bands unterschiedlichster Genres kooperiert.

D’angelo, wenn du das hier liest: Ruf an!

Die meisten Künstler*innen, mit denen du zusammen arbeitest, haben schon sehr früh angefangen Musik zu machen…
Ja, ich zum Beispiel habe mit sieben Jahren angefangen, Klavierunterricht zu nehmen und spielte außerdem Klarinette. Musikunterricht hatte ich seit der Grundschule. Musik ist ein wichtiges Kulturgut Islands. Selbst wenn man kein „professioneller“  Musiker ist, denke ich, dass ein großer Teil der Bevölkerung ein Instrument spielt und/oder in einem Chor singt. Ich bin durch meine Mutter zur Musik gekommen. Sie hat mich dazu gebracht, Klavierunterricht zu nehmen. Als Teenager fing ich an, in Bands zu spielen und selbst Musik zu machen. Dann studierte ich Jazz und wurde von da an in den Wirbel der isländischen Musikszene hineingezogen.

Wenn du dir irgendeine*n Künstler*in aussuchen könntest, mit wem würdest du gerne mal zusammen spielen?
Ich würde gerne mit einigen meiner Helden, wie Ryuichi Sakamoto, Mike Dean, Björk oder Aphex Twin arbeiten. Wenn ich allerdings nur einen Künstler wählen dürfte, dann wäre das D'angelo. Er ist mein absoluter Lieblingskünstler und ich habe bereits zu all seinen Platten gespielt. Das meiste seiner Musik kenne ich also bereits. Also, D’angelo, wenn du das hier liest: Ruf an!

Festivalfinder

Iceland Airwaves 2019

6.-9. November – Reykjavík, Island


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