Magazin

Tribal Gathering 2020


Der letzte Rave der Welt

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Leonie Ruhland

Isabel Roudsarabi

Greta Braun

Die DJs Schleife (Daunbert) und Leuchte (Karhua) werden für einen Gig nach Panama geholt – und erleben beim Tribal Gathering nicht ganz die ausgelassene Party-Stimmung, die alle erwartet hatten.

Schleife steht mit dreckigem Gesicht, von Salz und Sonne gezeichneten Klamotten und voll gepacktem Backpack vor dem Artist-Care Zelt. Jetzt, hieß es, jetzt dürfen sie weg. Aber nicht mehr lange. Eine Freundin, die ein Auto hat, fährt sie bis zum Eingang, wo bereits die internen Sicherheitskräfte Panamas warten und ihnen die Temperatur messen. Kein Fieber. Trotzdem geht es nicht weiter. Und kurz darauf sogar wieder zurück. Es ist einer von vielen Versuchen, das Festivalgelände des Tribal Gathering an der Küste nördlich von Panama City zu verlassen. Und eine von vielen, die gescheitert sind. 

„Das war total krass“, erzählt die DJ, als sie Wochen später wieder zurück in Hamburg ist. Den ganzen Tag wurde über das Thema gesprochen, permanent, man habe keine Ruhe davon gehabt. Gleichzeitig wusste niemand Bescheid. Jeden Tag hätten sie gefragt und ständig neue Aussagen erhalten. Von der Organisation gab's anfangs gar keine Information. Ihr Kommunikationsfluss fand hauptsächlich über die Produktion und das Artist-Care Team statt. Und auch das nur, wenn sie nachgefragt habe. „Da hast du dich selbst total verrückt gemacht.“  

Die Idee hinter dem fünfzehn-tägigen Tribal Gathering ist simpel und schön: Indigene Stämme weltweit sollen zum Austausch zusammengebracht werden. Dafür sind die ersten zehn Tage des Festivals mit vielen Workshops, Zeremonien, Vorträgen von Schamanen und ähnlichem eingerichtet. Anschließend wird eine weitere Bühne eröffnet und das Geschehen wandelt sich in einen Trance-Rave. Deshalb wandelt sich auch das Publikum mit der Zeit.
Ob das so funktioniert, wie die britische Organisation GeoParadise sich das vorgestellt hat, ist fraglich. Zeremonien sind meist verbunden mit der Einnahme von pflanzlichen Drogen, für die eine Vertrautheit mit der Umgebung sinnvoll ist. Rave-Tourist*innen machen sich oft wenig Gedanken und feiern vor allem den Konsum.
Letztes Jahr ist ein Mann während einer Zeremonie gestorben. Schon damals dauerte es drei Tage, bis die Besuchenden informiert wurden.

„Meine Einreise wird sich auf unbestimmte Zeit verschieben.“

Dabei hatte alles so schön angefangen. Nach einer kurzen Reise durch Panama wurden Schleife und ihr DJ-Kollege Palme am 4. März mit einem knall-orangenem Ford PickUp zum Festivalgelände mitgenommen. Mit lautstarker Tomorrowland-Mucke heizte der Fahrer, ein Spanier, der in Panama City lebt, zum Festival. Dort erwartete sie eine ruhige, aber lustvolle Stimmung. Schleife kommt an, als die Tribaltage noch im vollen Gange sind. Das Festival hatte am 29. Februar angefangen. Die Gäste tummeln sich in Workshop-Zelten oder unter Palmen im Kreis, Kinder spielen im Sand und abends wird bei Live-Konzerten getanzt. Von Corona noch keine Spur. Allerdings wirkt das weitläufige Gelände recht leer, erzählt Schleife. Zwischen den Zelten sei überall noch ausreichend Platz gewesen. Leuchte glaubt, dass manche Menschen durch die Corona-Warnung gar nicht erst angereist seien. Ebenfalls DJ, folgt er seinen beiden Freunden wenige Tage später aufs Gelände, kurz bevor die fünf Tage Rave beginnen. GeoParadise hat alle drei für einen Gig gebucht. 


An den Moment, an dem sich alles geändert hat, kann sich Leuchte noch ganz genau erinnern. Das Gesundheitsamt hatte sich angekündigt. Und er dachte sofort: „Scheiße, vielleicht sollten wir lieber jetzt hier abhauen, sonst werden alle unter Quarantäne gestellt.“ Das Gerede fing an. Und einen Tag später wurde tatsächlich Zwangsisolierung bestimmt. Erst hieß es, die Musik wird ausgemacht, die Party sei vorbei. Immerhin wurde in ganz Panama der Ausnahmezustand ausgerufen und überall herrschte Versammlungsverbot. Doch wenige Stunden später – als die Sicherheitskräfte außer Sichtweite waren – fing der Bass auf einmal wieder an. „Es hieß:

‘Wir sind hier jetzt illegal unterwegs‘, und weiter ging‘s.“

Ob da Schmiergelder im Spiel waren, ist unklar. „Ich befinde mich derzeit noch auf der wohl letzten Veranstaltung weltweit“, schreibt Schleife ihrer WG am 16.03. per Signal-Nachricht. „Meine Einreise wird sich auf unbestimmte Zeit verschieben.“

Eingesperrt im Paradies

„Ab da war’s dann auch ein ganz anderes Feeling“, erzählt Schleife. Von dem Gerede mal abgesehen, kamen sie sich plötzlich bewacht vor. Ein Freund berichtete ihnen, nachdem er den Berg hochmarschierte, der das Gelände umgab, dass er von bewaffneter Polizei aufgehalten wurde, die Location zu verlassen. Andere zogen mit einem begleiteten Convoy weiter, gelangten bis in die naheliegende Durchfahrtsstadt Palenke. Klein, betonlastig, ungemütlich. Dort wurden sie jedoch wieder aufgehalten. 

Die Ordnungshüter schickten sie zum Übernachten auf die Straße und nahm ihnen die Pässe ab. 

Am nächsten Tag durften Personen mit Rückflug weiterziehen, alle anderen mussten zurück aufs Gelände. Erst Tage später bekamen sie dort ihre Personalien zurück. 

Zum Glück kam es den drei Freunden aus Hamburg nicht so weit. Sie machten das Beste aus der Situation, die Lebensmittelversorgung lief hervorragend. „Kein Plan wie die das gemanaged haben, aber es wurde regelmäßig Essen aus Panama City geliefert“, sagt Schleife. Zwar mussten die Gäste weiterhin dafür bezahlen, die Kosten konnten aber auch auf dem Gelände abgearbeitet werden. Die Gesundheitsversorgung hingegen ließ zu wünschen übrig. Statt Corona – das tatsächlich nie unter dem Publikum des Festivals festgestellt wurde – ging ein Magen-Darm-Virus rum, der die Besuchenden bereits vor Corona beschäftigte. Das Rote-Kreutz hatte Antibiotikum ausgeteilt – eine fragwürdige Versorgung, weshalb die meisten grundsätzlich darauf verzichteten, hier Hilfe zu holen. Generell sind hygienische Bedingungen auf Festivals nicht die Besten. Wenn dort eine Person krank ist, sind schnell alle krank. „Das ist schon lächerlich: Leuten mitten im Dschungel mit Plumpsklo zu sagen: Ihr seid jetzt in Quarantäne“, findet Leuchte und lacht. „Ich dachte schon, das wäre ein Scherz.“


Inzwischen prägten Listen den Alltag der Beiden. Ständig musste man sich irgendwo eintragen. „Die Erste wurde direkt gesprengt, weil sich dort alle deutschen Reisenden in gesamt Panama eingetragen haben“, sagt Schleife. Die Behörden in Panama, Condor, die Deutschen Botschaft. Alle wollten wissen, wer da jetzt ausreisen will. Und wohin. Leuchte hatte mit der Deutsche Botschaft über WhatsApp Kontakt. Nachdem er sich mehrmals online eingetragen, aber nie eine Bestätigung erhalten hatte, war er verunsichert. Aber die Botschaft beruhigte ihm, er, Schleife und Palme seien registriert. 

Behandelt wie Schwerverbrecher

Dann sollten Schleife und Palme das Gelände verlassen, weil sie, im Gegensatz zu Leuchte, inzwischen die verpflichteten zwei Wochen vor Ort gewesen waren. Ein kleiner Schock für die Drei. Sie gaben sich kurzerhand als Dreier-Beziehung aus und durften schließlich zusammenbleiben. Als sie wenige Tage später endlich das Gelände verlassen durften, war die Misere längst nicht vorbei. Die Deutsche Botschaft kam mit Kleinbussen angerollt und brachte Deutsche, begleitet vom Sicherheitsdienst, nach Panama City in ein kleines Hostel in Casco Viejo. Fünf Checkpoints mussten sie passieren, jedes Mal schob ein vermummter Mann die Bustür auf und hielt wortlos ein Thermometer in den Wagen, um jede einzelne Person zu messen. In einem Video wirkt die Szene äußerst verstörend. Und ständig gab es wieder eine Liste. „Ich kann meine Passport-Nummer jetzt auswendig“, sagt Leuchte.


Im Hostel ging es nicht minder spannend weiter. Panama hatte zunächst eine Ausgangssperre bis 19 Uhr verrichtet, kurz darauf führte es ein System ein, nachdem eine bestimmte Uhrzeit für Einkaufen und Erledigungen nach den letzten Ziffern des Passports eingeteilt wurde. Hattest du als letzte Ziffer eine Eins, durftest du nur von sieben bis acht Uhr aus dem Haus. Menschen, die unerlaubt auf der Straße waren, wurden mit auf dem Rücken gebunden Händen auf einen PickUp-Truck geladen, so viele, bis die Ladefläche voll war. "Die Polizei ist direkt vor unserer Nase lang gefahren und hat die Leute festgenommen“, erzählt Schleife entsetzt, die alles vom Hostel-Balkon beobachten konnte.

Am Freitag, den 26. März, standen Schleife, Leuchte und Palme abermals voll bepackt am Flughafen. Aber nur Palme war auf der Passagierliste vermerkt. Leuchte stand auf der Warteliste, Schleifes Name war gar nicht erst verzeichnet. Und das obwohl sich Leuchte mehrmals bei der Botschaft vergewissert hatte. „Das war einfach so lächerlich“, ärgert er sich. Und Schleife schreibt ihrer WG: „Jou, Rolle rückwärts. War alles voll jetzt nach sieben Stunden Airport Chill. Bin jetzt wieder back in town… Sonntag gibt’s die nächste Chance. So viel zu meiner Situation.“ 


Leuchte und Schleife verlassen am 29.03.2020 Panama. Sie werden nach Amsterdam gebracht, von wo aus sie mit dem Zug weiter nach Hamburg müssen. Erst am 02. April können sie ihre WGs wieder in die Arme schließen. Von der Festivalveranstaltung kam beim Versuch der Kontaktaufnahme keine Rückmeldung.