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Cock am Ring für mehr FINTA* im Line-up

"Wir müssen kontinuierlich gesellschaftlich Druck machen."


4%, 10,3%, 5,58% - was erstmal nur nach ein paar kleinen Prozentzahlen klingt, hat eine enorme Wirkung. Dabei handelt es sich nämlich um den jeweiligen FINTA*, bzw. Musikerinnen Anteil bei den Festivals Full Force, Hurricane und Rock am Ring in diesem Jahr. Die Aktion Cock am Ring möchte genau auf diese Ungerechtigkeit aufmerksam machen.

text Isabel Roudsarabi
fotos Capadol, WDR/Thomas von der Heiden, Alina Gnutzmann

symbolfotos - FINTA* auf Festivals Florian Anhorn, Christian Hedel, Till Petersen

lesezeit 7 Minuten

Initiiert von der Band Kochkraft durch KMA und dem Ladies & Ladys Label, haben deshalb insgesamt 24 Bands mit Frauenanteil Anfang Juni, pünktlich zum Start des diesjährigen Rock am Ring, Songs von Männerbands aus dem aktuellen oder vorangegangenen Line-ups des Festivals gecovered. Den immer gleichen Ausreden, es gäbe nicht genug FINTA*, die man buchen könne, sollte mit dem gemeinsam entstandenen Sampler ein Statement entgegengesetzt werden.

Nicht nur das Major Festival ist weit entfernt von einem paritätisch besetzten Programm, allerdings ist die Quote hier im Vergleich zu vielen anderen Open Airs erschreckend niedrig. Im Durchschnitt liegt der Frauenanteil der letzten zehn Jahre im einstelligen Prozentbereich, wie MusicSWomen berichtete. Genau deshalb haben sich die Organisierenden von Cock am Ring auch dafür entschieden, gerade die großen, kommerziellen Festivals mit der Aktion zur Verantwortung ziehen zu wollen.

Gurr, Maifeld Derby 2019

Vom Sampler zum Festival

Bereits seit Jahren setzten sich Organisationen und Initiativen aus der Musikbranche dafür ein, mehr Geschlechtergerechtigkeit auf, vor und hinter den Bühnen zu schaffen (wir berichteten) und obwohl die Debatte hier und da aussichtslos zu sein scheint - es ändert sich etwas. Seien es die über 50 deutschen Musikorganisationen und Festivals, die bereits den Keychange Pledge unterzeichnet und sich damit selbst zu einer Gleichberechtigung aller Geschlechter verpflichtet haben, das DCKS Festival von Carolin Kebekus, das dem öffentlichen Diskurs im Frühjahr wieder etwas Leben einhauchte oder die unzähligen Panels und Diskussionen zum Thema auf jeder Musikkonferenz des Landes.

Weil wir aber immer noch nicht an einem Punkt sind, in dem die Gleichberechtigung überall auch wirklich gelebt wird, wollen die Initiator*innen von Cock am Ring einen Raum schaffen, in dem vor allem FINTA* im Mittelpunkt stehen.

An zwei Tagen im September findet deshalb das ehrenamtlich organisierte Cock am Ring Festival in der Sputnikhalle in Münster statt. Auf drei Bühnen spielen Künstler*innen, die auch schon auf dem Sampler zu hören waren, außerdem bietet das Rahmenprogramm Workshops und Panels zum Thema.

Passend zur ersten Line-up Welle, die bald erscheint, haben uns Lana, Nicki, Beray und Matze von Kochkraft durch KMA und Johanna vom Ladies & Ladys Label und der Band Wenn einer lügt dann wir ein paar Fragen dazu beantwortet, was seit dem Release des Samplers passiert ist und wie sie sich die Zukunft der Line-ups vorstellen.


Kochkraft durch KMA, v.l.n.r. Nicki, Beray, Lana, Matze

Wenn einer lügt dann wir

Was ist seit dem Launch eures Samplers und der Aktion passiert? Welche Resonanz habt ihr erfahren? 
Lana: Die Resonanz war überwältigend. Es haben so viele Medien über unser Anliegen berichtet und wir haben unglaublich viel positives Feedback von Künstler*innen, Fans und Menschen aus der Musikbranche bekommen. Auch einige Nachrichten von FLINTA+ Personen, die selbst bei Rock am Ring oder auf anderen Festivals Diskriminierung erfahren haben, kamen bei uns an. 

Bei Rock am Ring und Rock im Park selbst waren die meisten Besucher*innen mit denen wir gesprochen haben, offen und interessiert. Vielen (nicht allen!) war das Thema allerdings überhaupt nicht bewusst und sie hatten sich bislang keinerlei Gedanken darüber gemacht. Sie konnten unsere Argumente aber verstehen und waren bisweilen selbst über die Zahlen zum Männeranteil überrascht bis entsetzt. 

Vom Rock am Ring-Veranstalter DreamHaus gab es keine Reaktion. 

Johanna: Wir haben sowohl mit dem Bundestag als auch mit El Hotzo gesprochen, wir waren in den großen Zeitungen wie der Süddeutschen, FAZ, Zeit und Stern genauso wie auf der Startseite von web.de, in der Klatsch&Tratsch und bei Diffus, musikexpress, Visions und im OX. Außerdem in diversen Radiosendern. Ich glaube, wir haben alle erreicht. Außer Spiegelleser*innen.

Besonders toll ist auch die Resonanz unserer Künstler*innen - die sind stolz, mitgemacht zu haben und das macht wiederum uns stolz. Und sie bekommen selbst Bühnen um über dieses Projekt zu sprechen, zum Beispiel neulich auf der re:publica in Berlin.  

Wolf Alice, Tempelhof Sounds 2022

Seid ihr zufrieden mit dem, was eure Aktion ausgelöst hat? 
Matze: Total! Es geht uns ja auch darum, erstmal ein Bewusstsein für das Thema zu schaffen und auf die Zahlen aufmerksam zu machen. In 2021 ist der FLINTA+ Anteil bei Festivals wieder gesunken, die Daten für 2022 gibt es noch nicht. Aber ich glaube wir müssen kontinuierlich gesellschaftlich Druck machen, sonst ändert sich überhaupt nichts. 

Johanna: Wenn der Spiegel jetzt noch mitmacht, bin ich zufrieden. 

Und ich würde gerne mit den Marek Lieberbergs dieser Welt sprechen, ich denke, die Diskussion muss mit denen geführt werden, die das Musikbiz dominieren. 

Welche Wünsche habt ihr für das Thema in der Zukunft? 
Beray: Wir wünschen uns Chancengleichheit, Kreativität, Vielfalt und Diversität auf den Bühnen dieser Welt. 

Johanna: Wenn man nur weiße Männer auf Bühnen stellt, macht man zwei Fehler: Erstens schließt man aktiv alle anderen aus und zweitens sorgt man dafür, dass alle denken, Kunst und Kultur würde nur von eben dieser Personengruppe gemacht. Es sollte verboten werden mit solchen Line-ups zu werben und es sollten Quoten eingeführt werden, die die Vergabe von staatlichen Fördermitteln an Veranstalter*innen von solchen Line-ups unterbinden.  

Hoe_mies Mitgründerin Gizem Adiyaman, c/o pop 2022

Welche Verantwortung trägt das Publikum bei diesem Thema?
Nicki: Besucher*innen sollten unbedingt einbezogen werden! Das ist ja eine gesamtgesellschaftliche Debatte über die Frage, wer in unserer Gesellschaft wie repräsentiert wird und wer welche Chancen hat. Und aus Besucher*innen werden möglicherweise irgendwann Bands, Booker*innen, Festivalveranstalter*innen - also diejenigen, die in der Zukunft die Szene gestalten. Zunächst mal wollen wir aber die Daten bekannt machen und Aufmerksamkeit schaffen für das Thema.

Dann können sich Fans auch nochmal gut überlegen, ob sie wirklich 250€ für ein Festival bezahlen wollen, das grundsätzlich keine FLINTA+ Personen bucht, obwohl es das versprochen hat.

Oder ob es nicht doch auch spannend wäre, mal auf ein Festival zu gehen, wo nicht die gleichen Männerbands spielen, die schon vor zehn Jahren dort gespielt haben. 

Die Verantwortung liegt aber ganz klar auf Seiten der Veranstaltenden. Sie gestalten die Line-ups, sie können statt einer unbekannten Männerband auch eine unbekannte FLINTA+ Band als Opener auf die kleine Bühne buchen. Damit vergeben sie genau die Chancen, die eine Band oder ein*e Künstler*in braucht, um erfolgreich zu werden. 

Johanna: Stört es Besuchende wenn alle Geschlechter oder Geschlechtsidentitäten auf Bühnen Repräsentanz finden würden? Ich schwöre Stein und Bein: Nein.

Und dann gibts da noch die alte Marketingweisheit: Tu gutes und rede drüber. Macht eure Line-ups divers, vielfältig und bunt - und klebt sie auf alle Litfasssäulen! Euer Publikum wird dann auch diverser, vielfältiger und bunter.

Festivalfinder

Cock am Ring 2022

10. & 11. September, Sputnikhalle Münster


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