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Interview mit Ruud Berends über ESNS und ETEP

"Bessere Zeiten für uns alle"


Wir sprechen mit Ruud Berends, Leiter der ESNS Konferenz und ETEP, über die nächste Festivalsaison und die Bedeutung einer Zusammenarbeit innerhalb der europäischen Musikindustrie.

text Isabel Roudsarabi
übersetzung Ute Roudsarabi
fotos Bart Heemskerk, Jorn Baars, Nienke Maat

lesezeit 7 minuten

2020 war ein Jahr der Verluste und der Enttäuschungen, ein Jahr der Unsicherheit, des Abwartens und des Verdrusses. Speziell die Event und Musikbranche wurde hart getroffen - Tourneen konnten nicht fortgesetzt werden und nahezu kein Festival mehr stattfinden. Obwohl inzwischen Impfstoffe entwickelt und Geldmittel bereitgestellt wurden (wobei zweifelhaft ist, ob diese ausreichen), wissen wir zur Zeit immer noch nicht wann genau die Musikindustrie wieder durchstarten kann. 

Einen kleinen Hoffnungschimmer bietet uns da zumindest das Eurosonic Noorderslag, das in wenigen Wochen Betroffene aus ganz Europa zusammenführt, um die aktuellen Herausforderungen zu diskutieren.

Eurosonic Noorderslag wurde 1986 gegründet, ursprünglich als Battle zwischen niederländischen und belgischen Bands. Seitdem hat es sich zu einer der wichtigsten Showcases und Konferenzen der europäischen Musikbranche entwickelt. Eurosonic ist der erste Teil des Festivals: Von Mittwoch bis Freitag performen Künstler*innen aus ganz Europa in zahlreichen Venues in Groningen (NL). Am 4. Tag, samstags, wird mit dem Noorderslag Festival der Fokus auf niederländische Bands gelegt. Parallel findet in De Oosterpoort die Konferenz, mit mehr als 4.000 Teilnehmenden, darunter 400 Festivals und Projekten, statt.

2003 wurde zusätzlich ETEP, das European Talent Exchange Programm installiert. Es fördert Künstler*innen weit über die Grenzen des Eurosonic Festivals hinaus. Die Initiative will die Diversität der europäischen Musiklandschaft fördern und arbeitet mit Festivals aus zahlreichen Ländern zusammen, um die internationalen Karrierechancen der Künstler*innen zu verbessern und die Vielfalt der europäischen Musikszene sichtbar zu machen. Bis jetzt haben bereits über 1.500 Bands und Soloartisten davon profitiert. Einige davon haben es mittlerweile an die Spitze geschafft, darunter Dua Lipa, The XX, James Blake oder Calvin Harris.

Zwischen 2011 und 2015  gab es ein weiteres Unterprogramm, CEETEP, das Central Eastern European Talent Exchange Programm. Es konzentrierte sich auf zentraleuropäische Länder, die bis dahin kaum eine Rolle in der europäischen Musikszene spielten. In Zusammenarbeit mit lokalen Festivals wurden über 100 Shows, von 74 Acts organisiert.


Beim nächsten ESNS wird das ‚Partnerland‘ ganz Europa sein; das Thema: ‚the Road to Recovery‘. Beides hätte nicht besser gewählt werden können, um auf die momentane Situation Bezug zu nehmen.

Wir haben mit Ruud Berends, dem Leiter der Konferenz und des ETEP Programms, darüber gesprochen wie das Festival 2021 aussehen wird, welche Idee hinter den Programmen ETEP und CEETEP steht und warum es so wichtig ist, die europäische Musikindustrie zusammenzubringen.

Hey Ruud, danke dass Du Dir die Zeit nimmst um uns ein paar Fragen zu beantworten!
Du hast angefangen in der Musikbranche zu arbeiten, als du einen Jugendclub in Deiner Heimatstadt eröffnet hast. Wie kam es dazu?
Das war in den 80ern und es gab bei uns keine Clubs oder Orte wo man als Jugendlicher hingehen konnte. Wir haben eine alte Scheune in einen Jugendclub/eine Venue/ein Zuhause umfunktioniert, den wir etwa 8 Jahre betrieben haben.

Was treibt Dich an, in der Musikindustrie zu arbeiten? 

Ich liebe Musik, ich liebe es zu organisieren und ich genieße es, von dem leben zu können was ich liebe.

Worauf in Deiner Karriere bist Du besonders stolz?
Das ist schwer zu sagen. Ich war die Hälfte meiner Karriere Agent und sehr stolz darauf, mit so vielen hervorragenden, internationalen Acts zu arbeiten. Aber ich bin ebenso stolz auf das, was wir mit ESNS, ETEP, CEETEP und dem Export niederländischer Musik erreicht haben.

Gab es irgendwann eine Zeit, in der Du darüber nachgedacht hast etwas ganz anderes zu tun?
Ich denke, jeder hat solche Momente, aber dann merken die meisten, dass sie keine andere Fähigkeiten oder Ausbildung haben, kein anderes Netzwerk … obwohl das in der momentanen Krise natürlich ein Thema ist…

Seit 2003 arbeitest du bei ESNS, richtig? Wie hat sich das Festival und der ‚Spirit‘ seitdem verändert?
Genau, ich bin 2003 dazugestoßen, nachdem ich ESNS jahrelang als Delegate selbst besucht habe. Das Festival war damals deutlich kleiner. Wir hatten um die 400 Delegates und nur einen Eurosonic-Tag. Bald kamen dann das Noorderslag und weitere Konferenztage dazu. Das ist dann sehr schnell gewachsen, vor allem internationaler geworden. Es war aufregend das Event weiterzuentwickeln. Ich habe hauptsächlich im internationalen Bereich gearbeitet und an den Programmen ETEP und CEETEP gearbeitet. Gleichzeitig haben wir den Export niederländischer Talente, auf dem sich ausweitenden internationalen Markt, durch Förderprogramme und durch die Dutch Impact Parties unterstützt.

Welche Idee steht hinter ETEP? Was denkst Du, wieso ist es so ein wichtiger Teil der europäischen Musikindustrie geworden?
Die Idee von ETEP ist es, internationale Karrieren europäischer Künstler zu fördern, durch Auftritte auf europäischen Festivals, in Ländern außerhalb ihres Heimatlandes. Konzept, Struktur und Ziele von ETEP wurden von Peter Smidt, dem Gründer des ESNS, und von mir entwickelt. Festivals sind dafür ideal, sie sind nationale Plattformen, auf denen ein interessiertes Publikum, sowie nationale Medien und Menschen aus dem Musikbusiness zusammenkommen. 

Alle Booker des ETEP kommen auf das ESNS Festival um neue Acts für ihre Festivals im selben Jahr zu buchen.

Das funktioniert sehr gut. Alle arbeiten gemeinsam daran, neue Acts über ihre Festivalauftritte aufzubauen. Das Ganze wird natürlich auch von der EBU (European Broadcasting Union -Vereinigung aller nationalen Radiostationen Europas), der Festivalorganisation Yourope und den europäischen Musikmedien unterstützt. Der Erfolg von ETEP überrascht mich jedes Jahr.

Was ist Deiner Meinung nach der größte oder wichtigste Prozess, der in den letzten 5 Jahren in der Musikindustrie stattgefunden hat?
Nun, mein erster Gedanke ist das spezielle Programm das wir im Zuge von ETEP entwickelt haben. Wir nennen es CEETEP - Central Eastern European Talent Exchange Program. Wir haben es in den sogenannten CEE ( Central Eastern Europe) Staaten entwickelt, deren Musiklandschaften damals gerade erst aufwachten. Dieser Teil des Kontinents war bis vor ein paar Jahren im Musikbereich noch unterentwickelt und nicht wirklich ein Teil des Touring Circuits in Europa. Er bietet aber ein großes Potential an Künstlern. In wenigen Jahren, mit einem kleinen, aber effizienten, Programm, haben wir mit 18 Festivals und deren Medienpartnern, in 14 Ländern etwas aufgebaut. Wir haben den Austausch von Künstlern aus diesen Ländern mit den teilnehmenden Festivals gesteigert. Das Programm schloss mit einem Fokus auf die CEE Länder auf dem ESNS 2016 ab. Alles in Kooperation mit unseren CEE Partnern, allen voran Fruzsina Szép [Festival- und Managing Direktor beim Superbloom,  Vorstandsmitglied bei Yourope, Anm. d. Red.].

Für das kommende Jahr habt ihr Europa als ;Partnerland‘ ausgewählt. Warum habt ihr diese Entscheidung getroffen?
Wir haben das entschieden, bevor uns die Pandemie getroffen hat, weil wir mit der nächsten Ausgabe unser 35. Jubiläum feiern werden. Robert Meijrink, unser Programmchef, und ich haben das vorgeschlagen, weil wir denken, es ist der richtige Moment, sich auf Europa zu fokussieren, sowohl aus Sicht der Musikbranche als auch aus politischer Sicht.

Welche Empfehlungen kannst du uns für ESNS 2021 geben? Welche Panels, Talks und Acts sollte man nicht versäumen?
Das kann ich wirklich nicht sagen, weil für jeden etwas anderes interessant ist.

Ich bin davon überzeugt, das die Konferenz 2021 eine der besten sein wird, die wir je organisiert haben.

Sie wird all die Themen behandeln, von denen wir denken und hoffen, dass sie für unsere Branche relevant sind: Gleichberechtigung, Diversity, psychische Gesundheit, faire Bezahlung, Streaming, Impfungen, Schnelltests, Gesundheit und Sicherheit, Innovation, nationale und europäische Beziehungen und Lobbying zwischen unserem Sektor und der Politik, Nachhaltigkeit, Arbeitskreis Präsentationen und Updates im Umgang mit der Coronakrise, relevante Panels und Keynotes zu den verschiedenen Bereichen unserer Branche, Brexit, das neue Programm der europäischen Kommission für die Kreativbranche, VR &AR. Zu viel um alles zu nennen …

Worauf bist Du, bezüglich des ESNS 2021, am meisten gespannt?
Der Januar ist immer eine spezielle Zeit und das ESNS gibt den Ton für das Jahr vor, denn wir sind das erste Festival und die erste Konferenz die stattfindet. 2021 wird nochmal besonders speziell, weil es der Beginn des Jahres ist, dass uns zeigen wird, wie wir neustarten und unsere Branche wieder aufbauen können, nach diesen dunklen Monaten mit unzähligen Sorgen und negativen Emotionen. Ich hoffe das ESNS 2021 wird der Auftakt zu besseren Zeiten für uns alle.

Festivalfinder

Eurosonic Noorderslag 2021

13.- 16. Januar – überall


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